Der Janusmann
Gebäude abgerissen, aber nicht durch einen Neubau ersetzt worden.
Ich konnte niemanden sehen, der auf mich wartete, aber in Sichtweite des Grundstücks gab es tausend schmutzige Fenster, hinter denen theoretisch Tausende von Beobachtern lauern konnten. Ich blieb unbeweglich stehen, bis mir kalt wurde. Dann ging ich zu dem Lastwagen zurück, fuhr ihn um den Block und auf das Grundstück. Parkte ihn Motorhaube an Motorhaube mit seinem Pendant. Zog den Zündschlüssel heraus und ließ ihn ins Türfach fallen. Sah mich ein letztes Mal um und stieg aus. Steckte meine Hand in die Manteltasche und hielt Duffys Pistole umklammert. Horchte angestrengt. Nichts als das Rascheln leerer Plastiktüten, die der Wind vor sich hertrieb, und die fernen Geräusche einer heruntergekommenen Stadt. Mir konnte nichts passieren, außer jemand beabsichtigte, mich aus größerer Entfernung mit einem Gewehrschuss zu erledigen. Und davor schützte mich auch die Glock 19 in meiner Tasche nicht.
Die Fahrertür des anderen Lastwagens war offen, der Schlüssel lag im Türfach. Ich rückte den Sitz zurecht und stellte die Rückspiegel ein. Spielte den Unbeholfenen, ließ den Schlüssel fallen und warf einen Blick unter die Sitze. Kein Peilsender. Nur ein paar Kaugummipapiere und Wollmäuse. Ich ließ den Motor an, wendete auf dem Grundstück und fuhr in Richtung Highway.Ich sah niemanden, und niemand fuhr hinter mir her.
Der neue Wagen fuhr etwas besser als der alte, war ein wenig leiser und schneller. Er spulte die Meilen herunter, brachte mich nach Norden zurück. Ich starrte auf die Straße und hatte das Gefühl, sehen zu können, wie das einsame Haus auf der felsigen Landzunge mit jeder Minute größer wurde. Es zog mich an und stieß mich gleichzeitig ab. Rhode Island war ruhig. Niemand folgte mir, als ich es durchquerte. Massachusetts bestand hauptsächlich aus einem weiten Bogen um Boston herum und dem sich daran anschließenden Hügelland im Nordosten, in dem links Kaffs wie Lowell und weit rechts malerische Urlaubsorte wie Newburyport, Cape Ann und Gloucester lagen. Keine Beschattung. Dann kamen New Hampshire und Portsmouth. Ich passierte diese Ausfahrt und begann auf Schilder zu achten, die Rastplätze ankündigten. Kurz bevor ich Maine verließ, entdeckte ich eines. Es besagte, dass Duffy,Eliot und der Alte mit dem fleckigen Anzug in acht Meilen Entfernung auf mich warteten.
Dort warteten nicht nur Duffy, Eliot und der Alte. Sie hatten einen DEA-Spürhund mitgebracht. Lässt man diesen Beamtentypen genug Zeit zum Nachdenken, kommen sie manchmal auf geniale Ideen. Ich bog vom Highway ab auf ein Gelände, das dem Rastplatz Kennebunk sehr ähnlich war, und sah ihre beiden Dienstwagen am Ende einer Reihe leerer Parkplätze neben einem unauffälligen Van mit Dachventilator stehen. Ich parkte vier Plätze von ihnen entfernt und wartete vorsichtshalber wieder zweiundsiebzig Sekunden, bis ich sicher wusste, dass mir niemand gefolgt war. Wegen der Standspur der I-95 machte ich mir keine Gedanken. Vom Highway aus war der Rastplatz nicht zu sehen. Überall standen Bäume. In Maine gab es verdammt viele Bäume, so viel war sicher.
Ich stieg aus. Der Alte fuhr seinen Wagen dicht heran und machte sich sofort mit dem Lötkolben an die Arbeit. Duffy zog mich am Ellbogen mit sich.
»Ich habe ein bisschen herumtelefoniert«, erklärte sie. Sie hielt ihr Handy hoch, als wollte sie’s mir beweisen. »Gute Nachrichten und schlechte.«
»Zuerst die guten«, sagte ich. »Heitern Sie mich auf.«
»Ich denke, die Toyota-Sache könnte in Ordnung sein.«
»Könnte?«
»Der Fall ist kompliziert. Wir haben uns vom Zoll eine Liste von Becks Lieferungen besorgt. Sein ganzes Zeug kommt aus Odessa. Das liegt in der Ukraine, am Schwarzen Meer.«
»Ich weiß, wo es liegt.«
»Ein plausibler Herkunftsort für Teppiche. Sie kommen aus dem ganzen Nahen Osten dorthin. Aber aus unserer Sicht ist Odessa ein Heroinhafen. Alles, was nicht direkt aus Kolumbien in die USA geschmuggelt wird, kommt aus Turkmenistan, Afghanistan und übers Kaspische Meer sowie dem Kaukasus. Bezieht Beck seine Ware aus Odessa, handelt er mit Heroin, und als Heroinschmuggler kennt er garantiert keine Ecstasy-Dealer. Weder in Connecticut noch sonst wo. Da gibt’s keine Beziehungen. Beide sind in völlig verschiedenen Geschäftszweigen tätig. Also muss er ganz von vorn anfangen, wenn er etwas über sie herausbekommen will. Ich meine, das Toyota-Kennzeichen liefert ihm einen Namen
Weitere Kostenlose Bücher