Der Janusmann
noch eine Tasse Kaffee. Ließ mir den Toilettenschlüssel geben und sperrte mich damit ein. Setzte mich auf den Klodeckel und zog meinen rechten Schuh aus. Im E-Mail-Empfänger war eine Nachricht von Duffy gespeichert: Woher das Interesse an Teresa Daniels richtigem Namen? Ich ignorierte sie und sendete: Wo liegt Ihr Motel? Neunzig Sekunden später antwortete sie: Was haben Sie am ersten Tag in Boston zum Frühstück gegessen? Ich lächelte. Duffy war eine praktisch veranlagte Frau. Sie machte sich Sorgen, meine Frage könnte unter Zwang gestellt worden sein. Deshalb stellte sie eine Sicherheitsfrage. Ich sendete: Kleiner Stapel mit einem Ei obendrauf, Kaffee, drei Dollar Trinkgeld, ich habe alles aufgegessen. Hätte ich etwas anderes geantwortet, wäre sie jetzt zu ihrem Wagen gerannt. Neunzig Sekunden später kam ihre Antwort: Westseite der Route One, hundert Meter S Kennebunk River. Nach meiner Schätzung zehn Meilen von hier entfernt. Ich sendete: Wir sehen uns in zehn Minuten.
Ich brauchte jedoch über eine Viertelstunde, weil ich erst aus dem Stau herauskommen musste, der in Saco auf der Route One herrschte. Auf der ganzen Strecke behielt ich den Rückspiegel im Auge, ohne etwas Beunruhigendes zu entdecken. Ich fuhr über den Fluss und kam zu einem Motel auf der rechten Straßenseite, einem frisch gestrichenen hellgrauen Bau. An diesem Apriltag herrschte nicht viel Betrieb. Ich sah den Taurus vor dem letzten Zimmer stehen und parkte den Cadillac dreißig Meter entfernt hinter einem Schuppen mit einem großen Propangastank. Es wäre unklug gewesen, ihn so abzustellen, das jeder, der auf der Route One vorbeifuhr, ihn sehen konnte.
Ich ging zurück und klopfte an. Susan Duffy riss die Tür auf, und wir umarmten uns. Das kam wie von selbst. Es überraschte mich völlig. Und wahrscheinlich auch sie. Hätten wir erst darüber nachgedacht, wär’s vermutlich nicht passiert. Aber sie war besorgt, und ich stand unter Stress, und so geschah es einfach. Es fühlte sich richtig gut an. Sie war groß, aber sehr schlank. Meine Hand bedeckte fast die gesamte Breite ihres Rückens. Sie roch frisch und sauber. Kein Parfüm. Einfach nur Haut.
»Sind Sie allein?«, erkundigte ich mich.
Sie nickte. »Die anderen sind in Portland. Der Zoll sagt, dass heute ein Schiff mit einer Lieferung für Beck erwartet wird.«
Wir ließen einander los. Gingen ins Zimmer hinein.
»Was haben sie vor?«, fragte ich.
»Sie beobachten nur«, antwortete sie. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Darauf verstehen sie sich. Niemand wird sie sehen.«
Ein Motelzimmer in Standardausstattung. Ein französisches Bett, ein Stuhl, ein Schreibtisch, ein Fernseher, ein Fenster, ein Klimagerät in der Außenwand. Von hunderttausend anderen Motelzimmern unterschied es sich nur durch sein blaugraues Farbschema und die Drucke von Schiffsbildern an den Wänden. Sie verliehen ihm die für New England typische Küstenatmosphäre.
»Was wissen Sie von meiner Agentin?«, erkundigte sie sich.
Ich erzählte ihr von dem in den Boden eines Kellerraums eingeritzten Namen.
»Was bedeutet es?«
»Dass sie gestern noch gelebt hat«, erwiderte ich. »Ich vermute es zumindest. Am Morgen war die Tür noch abgeschlossen, und nachts war der Raum leer.«
»Glauben Sie, dass mit ihr alles in Ordnung ist?«
Ich erzählte ihr nicht, was Paulie mit Elizabeth Beck machte.
»Wahrscheinlich hat sie ihren Namen mit einer Gabel eingeritzt«, sagte ich. »Und gestern Abend hat in der Küche ein überzähliger Teller mit Steak und Kartoffeln herumgestanden, als sei sie in solcher Eile verlegt worden, dass die Köchin nichts davon wusste. Daher glaube ich, dass sie regelmäßig zu essen bekommen hat.«
»Wohin kann sie gebracht worden sein?«
»Quinn hat sie«, antwortete ich. »Ich glaube, dass wir’s hier mit zwei Organisationen zu tun haben, von denen eine die andere überlagert. Beck ist ein übler Typ, das steht fest, aber sein Laden ist von einem noch übleren Typen übernommen worden.«
»Wie im Geschäftsleben?«
»Genau«, sagte ich. »Wie bei einer feindlichen Übernahme. Quinn hat seine Leute in Becks Unternehmen eingeschleust und saugt es wie ein Parasit aus.«
Sie nickte nachdenklich, wirkte etwas müde. Sie trug Jeans und ein schneeweißes Herrenhemd, das ordentlich in ihrer Hose steckte. Die beiden obersten Knöpfe standen offen. An den Füßen hatte sie Leinenschuhe ohne Socken. Die Heizung im Zimmer war ziemlich hochgedreht. Auf dem Schreibtisch stand
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