Der Janusmann
riskieren?«, fragte ich. »Nehmen wir mal an, ich wäre nicht genau das, was ich zu sein behaupte. Nur rein theoretisch. Sagen wir, ich gehörte beispielsweise einer konkurrierenden Organisation an. Merken Sie nicht, welches Risiko Sie eingehen? Glauben Sie, dass Sie lebend ins Haus zurückkämen? Nach diesen Äußerungen?«
Sie sah weg.
»Dann wird das die Probe aufs Exempel, denke ich«, sagte sie. »Sind Sie ein staatlicher Agent, lassen Sie mich leben. Sind Sie keiner, tun Sie’s nicht.«
»Ich bin nur irgendein Kerl«, sagte ich wieder. »Sie könnten mich in Schwierigkeiten bringen.«
»Kommen Sie, wir gehen einen Kaffee trinken«, meinte sie. »Saco ist eine hübsche Stadt. Früher haben dort all die großen Textilfabrikanten gelebt.«
Wir landeten auf einer Insel mitten im Saco River. Dort stand ein gigantischer Klinkerbau, der vor vielen Jahren eine riesige Textilfabrik gewesen war. Jetzt hatte man ihn luxussaniert und in Hunderte von Büros und Läden aufgeteilt. Wir fanden einen Coffeeshop mit viel Chrom und Glas, der sich Café Café nannte. Kein sehr einfallsreicher Name. Im Französischen vermutlich ein Wortspiel. Aber allein der Kaffeeduft war den Trip wert. Ich ignorierte die Varianten mit latte und aufgeschäumter Milch und bestellte mir normalen Kaffee – heiß, schwarz, groß. Dann wandte ich mich Elizabeth Beck zu. Sie schüttelte den Kopf.
»Sie bleiben hier«, befahl sie. »Ich will einkaufen gehen. Allein. Wir treffen uns in vier Stunden hier.«
Ich sagte nichts.
»Ich muss Sie nicht um Erlaubnis bitten«, erklärte sie. »Sie sind nur mein Fahrer.«
»Ich habe kein Geld«, sagte ich.
Sie gab mir zwanzig Dollar aus ihrer Umhängetasche. Ich bezahlte den Kaffee und trug ihn zu einem der Tische. Sie begleitete mich und wartete, bis ich Platz genommen hatte.
»Vier Stunden«, wiederholte sie. »Vielleicht etwas länger, auf keinen Fall kürzer. Falls Sie irgendwas zu erledigen haben.«
»Ich habe nichts zu erledigen«, sagte ich. »Ich bin nur Ihr Fahrer.«
Sie sah mich an. Zog den Reißverschluss ihrer Umhängetasche zu. Die Tische waren ziemlich eng gestellt. Sie verdrehte ihren Körper etwas, um den Trageriemen richtig über die Schulter zu bekommen. Beugte sich leicht zur Seite, um den Tisch nicht zu berühren und meinen Kaffee nicht zu verschütten. Dann war ein Poltern zu hören, als sei etwas ziemlich Schweres zu Boden gefallen. Ich sah nach unten. Etwas war aus ihrem Rock gerutscht. Während sie es anstarrte, überzog ihr Gesicht sich langsam mit tiefer Röte. Sie bückte sich, hob das Ding auf und hielt es mit einer Hand umklammert. Tastete nach dem Stuhl gegenüber und sank darauf nieder, als habe sie plötzlich alle Kraft verlassen. Als fühlte sie sich unglaublich gedemütigt. Sie hielt einen Piepser in der Hand. Ein schwarzes Plastikrechteck, das etwas kleiner als mein E-Mail-Sender aussah. Sie starrte es an. Ihre Stimme war ein klägliches Flüstern.
»Er zwingt mich, ihn dort zu tragen«, erklärte sie. »In meinem Slip. Damit er die entsprechende Wirkung hat, wenn er summt. Jedes Mal wenn ich durchs Tor fahre, überzeugt er sich davon, dass er an seinem Platz ist. Normalerweise nehme ich ihn anschließend heraus und stecke ihn in meine Umhängetasche. Aber das wollte ich heute nicht tun, weil Sie’s gesehen hätten.«
Ich wusste nichts darauf zu sagen. Sie stand wieder auf, blinzelte zweimal und holte tief Luft.
»In vier Stunden«, sagte sie. »Falls Sie etwas zu erledigen haben.«
Dann ging sie davon. Ich sah ihr nach. Sie wandte sich vor dem Eingang nach links und verschwand. Ein raffinierter Schwindel? Es war möglich, dass ihre Hintermänner versuchten, mich mit ihrer Story zu ködern. Möglich, dass sie einen Piepser in ihrem Slip trug, um ihre Geschichte zu untermauern. Möglich, dass sie’s schaffte, ihn im genau richtigen Augenblick zu verlieren. Alles möglich. Aber es war völlig unmöglich, dass sie dieses tiefe Erröten wie auf ein Stichwort hin absichtlich hervorgerufen hatte. Das konnte niemand. Also war Elizabeth Beck echt.
Ich verzichtete nicht ganz auf vernünftige Vorsichtsmaßnahmen. Die waren mir zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen. Ich trank meinen Kaffee wie ein ganz normaler Mensch mit reichlich Freizeit aus. Dann schlenderte ich durchs Labyrinth der Ladenstraßen und bog willkürlich mal nach rechts oder links ab, bis ich sicher war, dass ich nicht beschattet wurde. Dann ging ich in den Coffeeshop zurück und holte mir
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