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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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größerem Druck ausgesetzt. Darum sind schon einige Journalisten von dem Weg zum Pico nicht zurückgekommen. «Die Goldsucher haben sie in den Fluß geworfen», hatte der Kokain-Pilot gesagt. Und ich sah hier auf der Lichtung bisher keinen Mann, den ich daran hätte hindern können, mich in den Fluß zu werfen. Selbst gegen den Jüngsten der Gruppe würde ich nicht die geringste Chance haben. Rambozona war erst siebzehn, aber er war ein Goldsucher. Und er war ein Krokodiljäger (zweites Standbein). Und er hatte verrückte Augen (Amphetamine).
    Das war die Lage, aber ich war es gewohnt, Leute zu treffen, die keine Journalisten mögen, und sie waren mir sympathischer als Leute, die Journalisten lieben. Außerdem hatte ich zwei Wunderwaffen dabei, von denen schon eine gereicht hätte, um die Herzen der wilden Männer aufzuschließen. Wunderwaffe Nummer eins war die Polaroidkamera. Nicht nur, weil man das Bild sofort sehen kann, man kann es auch gleich verschenken. Ich machte immer zwei Fotos. «One for you, one for me» oder «una para ti, una para mi». Das hat sie alle glücklich gemacht. Meine Gitarre erwies sich als noch effektiver, die hat es bei den Latinos natürlich gebracht. Bei den Latinas auch.
    Eine der beiden Frauen, die auf den Pico wollten, war häßlich, eine war schön. Die Häßliche war die Hure, die Schöne machte in Drogen. Beide bekamen auf dem Pico das Fünffache von dem, was sie in den Städten für ihre Ware verlangen. Die Dealerin, eine Mulattin aus Salvador da Bahia, hieß Elisabeth, und vielleicht sollte ich ihren Namen ändern, damit man nicht glaubt, ich hätte es erfunden. Sie war schön von Kopf bis Fuß, aber das Schönste an Elisabeth waren ihre Beine. Und Absicht oder nicht, sie ließ immer eins aus der Hängematte baumeln. Ein Bein, geschaffen dafür, in seidenem Abendkleid Marmortreppen hochzugehen. Statt dessen trug sie paramilitärische Klamotten und wollte in den Regenwald. Die Goldsucher hatten ’ne Menge Respekt vor ihr, und bei einigen sah es sogar so aus, als wäre es Angst. An dieser Frau klebte ein starkes, aber undurchsichtiges Charisma. Alle wollten ihr an die Wäsche, aber keiner traute sich. Dabei hatten, wie es aussah, zwei der Männer bei ihr durchaus eine Chance. Der eine war ich, der andere war der Kolumbianer. War das gut? Was bedeutete das im Wald für mich?
     
    Am Morgen des siebten Tages brachen wir auf. Kurz vorher führte ich mit Siete noch ein ernstes Gespräch. Die Goldsucher hatten sich die Zeit des Wartens unter anderem damit vertrieben, mir genau die Schauergeschichten über den bevorstehenden Weg zu erzählen, mit denen mich schon Rico, der Kokain-Pilot, schocken wollte.
    «Die Sache ist so, Siete, die Jaguare interessieren mich nicht, denn ich interessiere sie anscheinend auch nicht, wie du ja weißt. Ich habe auch keine Angst vor den Schlangen, Flüssen, Sümpfen und – was war da noch? – ja, den Hubschraubern der venezolanischen Armee und dem ganzen Scheiß. Wirklich, Siete, ich habe kein Problem damit. Mein einziges Problem ist: Ich habe Höhenangst. Ich mach mir in die Hose, wenn ich über irgendeinen Baumstamm balancieren muß, der über einen Abgrund führt.»
    Siete sah mich einen Moment still an, dann begann er zu lachen. Ob ich zuerst die schlechte oder die gute Nachricht hören wolle. Es wären sogar zwei gute Nachrichten.
    «Dann fang mit der schlechten an.»
    «Okay, am ersten Tag, also heute, werden wir es mit vierundsechzig solcher Stellen zu tun haben.»
    «Vierundsechzig?!»
    Ja, sagte Siete, und das habe ihn, als er zum ersten Mal im Wald war, auch ziemlich überrascht. Beim zweiten Mal habe er sie dann gezählt. Vierundsechzig Stellen, an denen man über Baumstämme balancieren muß oder über Dinge, die noch fragiler als Baumstämme sind. Aber, und das war die gute Nachricht, so viele sind es nur am ersten Tag, nachher wird es weniger. Und die zweite gute Nachricht war, daß am ersten Tag parallel zum Weg ein Fluß verläuft und die Goldsucher ein Kanu hatten, auf dem drei von ihnen das gesamte Gepäck der Gruppe transportierten. Das machte die erste Etappe für alle, die nicht mit dem Kanu fuhren, zum Spaziergang, und ohne Gepäck würden sie auch besser balancieren können.
    «Setz dich ins Kanu, und bleib am Leben», sagte Siete. «Dann werden wir uns heute abend im Wald wiedersehen.»
    Das Kanu gehörte den Leuten, die das Marketender-Zelt auf der Lichtung betrieben. Es war Teil ihres Geschäfts, das Boot an Goldsucher zu

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