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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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der Gruppe umarmt, auch Amazon, den Härtesten der Harten. Es schien, daß er seine Meinung über mich ein wenig änderte, als ihm Rambozona erzählte, was geschehen war und wie ich mich gehalten hatte. Trotzdem gehörte Amazon nicht zu den Männern, die man umarmen sollte, nur weil man sie einen Tag nicht gesehen hat. Keiner von den Goldsuchern gehörte dazu, und nur die Frauen zu umarmen, fand ich ebenfalls nicht angemessen, also umarmte ich keinen. Mein Lachen umarmte sie, und sie lachten zurück. Neben der Polaroid und der Gitarre gab es jetzt noch einen Grund mehr, mich nicht in den Fluß zu werfen. Sie hatten es ja schon getan. Und zweimal macht man so was nicht.
     
    Der zweite Tag auf diesem Weg brach an, und es ist klar, daß ich mir nach den Erfahrungen des ersten vornahm, nie mehr die Gruppe zu verlassen. Nie mehr. Lieber wollte ich über tausend Schluchten balancieren als noch einmal Kanu fahren. Bei der Gruppe zu bleiben stellte sich jedoch bald als nicht so einfach heraus. Obwohl sie jetzt ihr Gepäck trugen, so dreißig Kilo pro Mann, und ich für mein Gepäck Pedro hatte, also frei und unbelastet lief, hielt ich mit den Goldsuchern nur schwer Schritt. Manchmal war der Weg breit genug, daß zwei oder drei nebeneinandergehen konnten, meist aber nicht, der berühmte Gänsemarsch wurde unsere Standardformation. Siete führte ihn an. Er trug als einziger keine Gummistiefel. Er hatte es auf der Lichtung bereits angekündigt und wahr gemacht. Er lief in seinen Fußballschuhen durch den Wald. Die Stollen seien ideal für den Weg. Siete war vorne, das heißt, ein ehemaliger Stürmer der brasilianischen Profiliga bestimmte hier das Tempo, deshalb war ich immer der letzte. Und der vorletzte war immer Pedro oder Bobo, denn die hatten von allen am meisten zu schleppen, ihr Gepäck und unseres. Meines war für sie kein Problem, aber der Fotograf hatte ihnen seine Profi-Ausrüstung aufgeladen, und wir hatten auch mehr Bohnen, Reis und Trinkwasser mit als alle anderen.
    Mein Rucksack war nur mit der Hängematte und ein paar Kleinigkeiten beladen, trotzdem mußte ich alles geben, um nicht zurückzufallen und plötzlich allein zu gehen. Zehn Meter Abstand, manchmal fünf, reichten, um vom Vordermann nichts mehr zu sehen, weil ihn der Wald verschluckt hatte, und vom Weg war dann oft genug leider auch nichts mehr zu erkennen. Zu dem, was die hier Weg nannten, sagt man bei uns nicht einmal Pfad. Es brauchte Waldläufer-Augen, um ihn nicht zu verlieren. Also kümmerte ich mich irgendwann nicht mehr um die hundertzwanzig Prozent Luftfeuchtigkeit, die meinen Kreislauf zu Boden drückte, oder um das Gestrüpp, das mir die Haut aufriß, oder um den Matsch, in dem die Gummistiefel versanken, oder um die Bäche, Tümpel und Sümpfe, die wir entweder von Stein zu Stein springend oder mit Balanceakten auf Baumstämmen überquerten. Bei den ersten machte ich noch großes Theater, breitete die Arme aus, als wollte ich fliegen, suchte den Schwerpunkt in der Mitte, praktizierte Atemübungen, aber selbst die Tücken eines unbalancierten Lebens kümmerten mich bald nicht mehr. Das einzige, worum ich mich hier noch kümmerte, war, den Arsch von Bobo oder Pedro zu sehen.
    Die Pausen dagegen waren klasse. Wir rasteten an Quellen und sauberen Bächen, wo wir wie Kamele tranken, die Füße kühlten, Blasen versorgten, was aßen, rauchten und jetzt auch wieder ein Auge für die Schönheit des Regenwaldes hatten. Wilde Blumen, in allen Farben und allen Größen, Blütenkolonien, Schmetterlinge, Vögel, die so rot wie Lippenstift waren, Sonnenstrahlen als Zierleisten an den Bäumen, psychedelisches Moos. Hinzu kam, daß die totale Entspannung während der Pausen – ähnlich wie die totale Anspannung während des Gehens – keinen Platz für eine Beschäftigung des Geistes mit Dingen ließ, die außerhalb des Augenblicks lagen. Hier und jetzt in der grünen Hölle. Hier und jetzt im grünen Paradies. Das war der Rhythmus, an den ich mich zu gewöhnen begann. Paradies kurz. Hölle lang. Erst am Abend würde das Paradies mit der Hölle gleichziehen können, aber so weit waren wir noch nicht. Hart war der Pfad, und lang war der Tag. Und je länger er wurde, desto mehr Tempo machten die Goldsucher, weil sie keinen Meter verschenken wollten, den sie vor Einbruch der Dunkelheit und des Regens noch zurücklegen konnten.
    Als es zu dämmern begann, verlor ich die Gruppe. Ich hörte sie noch, aber das nutzte mir weniger, als man vermuten sollte. Ich

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