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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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dann blickte mich hier die Seele eines Killers an, was durchaus möglich ist, denn Goldsucher kommen aus den verschiedensten Berufen, es sind auch Ex-Bodyguards und Ex-Milizen darunter. Es wird allgemein viel umgebracht in dieser Gegend, aber er sah nicht nur wie ein Profi aus, bei ihm kam noch das Charisma des Spezialisten dazu. Auftragskiller, man nennt sie Pescados, weil sie sich in der Menge wie Fische bewegen, wie Haie attackieren und wie Schatten verschwinden. Ich will ihm da wirklich nichts unterstellen, es kann durchaus sein, daß der Mann im Regenwald so hart wurde oder in den Favelas von Rio, wo vielleicht seine Hütte mitsamt seiner Familie abgebrannt ist. Das ist alles möglich und alles ungewiß. Er erzählte ja nichts. «Call me Amazon», sagte er, als ich ihn nach seinem Namen fragte. Mehr war nicht aus ihm rauszukriegen. Und während nicht mehr aus ihm rauszukriegen war, sah er mir weiter in die Augen und bearbeitete einen Ast mit seiner Machete. «Warum machst du das?» fragte ich. Statt zu antworten, veränderte sich nur sein Blick. Vorher war es der Blick eines Mannes, der sein Gegenüber auschecken will. Jetzt hatte er gecheckt: Ich war nicht ernst zu nehmen. Und das war’s. Ein anderer, der in der Nähe saß, antwortete für Amazon: «Er macht Feuerholz. Der Ast ist naß. Damit der Ast brennen kann, muß die Rinde ab.»
    Der Mann, der statt Amazon geredet hatte, trug ein Fußballtrikot mit der Nummer 7. Und so nannten sie ihn auch. «Siete» war Profifußballer in São Paulo, bis eine Knieverletzung seine Karriere beendete. Und weil Siete, wofür hier jeder Verständnis aufbrachte, nichts gespart hatte, holte er sich seither das Gold aus dem Wald. Er ist den Weg zum Pico bereits dreimal gegangen, und er hat sich vorgenommen, es noch viermal zu tun. Da ist sie wieder, die Sieben, das war ihm wichtig. Siete war ein bißchen spirituell, und er war ein guter Erzähler, und wie alle guten Erzähler hörte er sich selbst am liebsten zu, das heißt, Siete war der Goldsucher auf dieser Lichtung, der am meisten redete, und weil er außerdem mit jedem jederzeit Freundschaft zu schließen bereit war, schien er mir das genaue Gegenteil von Amazon zu sein. Sollte ich deshalb im Wald seine Nähe suchen und Amazon meiden? «Ich weiß nicht», sagte Juan, der Fotograf. «Aber der Wald wird das klären. Erst im Wald findest du die Wahrheit über einen Mann heraus.»
    Es kam nicht von ungefähr, daß wir uns solche Gedanken machten. Diese Männer mögen keine Bosse, keine Polizisten, keine Soldaten, keine Ehefrauen, keine Missionare und keine Journalisten. Weil alle Journalisten dasselbe schreiben: Goldsucher vergiften mit ihrem Quecksilber die Flüsse, und mit ihren Sitten verderben sie die Moral im Regenwald. Das Quecksilber ist wirklich Mist, aber den negativen Einfluß der Goldsucher auf die missionierten Indianer vom Stamme der Yanomami könne man ruhig mal ein bißchen differenzierter darstellen, hatte der Kokain-Pilot in São Gabriel zu dem Thema gesagt.
    Der Sachverhalt: Nur zwei Tagesmärsche vom Camp der Goldsucher auf dem Pico da Neblina entfernt findet sich eine Missionsstation. Die Dschungel-Zweigstelle der Kirche von São Gabriel. Seit Jahrzehnten, wahrscheinlich aber seit Jahrhunderten suchen die Yanomami-Indianer hier für die Missionare das Gold des Regenwalds. Ein frommer Segen und ein Abendessen ist ihr Lohn. Dann aber fielen die Goldsucher in den Geschäftsbereich der katholischen Kirche ein. «Hört, rote Brüder», sagten sie, «der Weltmarktpreis für ein Gramm ist kein Halleluja, sondern zwanzig US-Dollar. Wie findet ihr das?»
    Die Indianer fanden es prima. Wie immer in solchen Fällen sahen sich die Padres dazu gezwungen, a) Gott und b) die Polizei von São Gabriel um Hilfe zu bitten, was dazu führte, daß die Straße nach Kolumbien für Goldsucher für einige Wochen gesperrt wurde. Man holte einfach jeden, der Siebe und Quecksilber dabeihatte, aus den Bussen. Die Sperre wurde wiederaufgehoben, weil Goldsuchen in Brasilien als Menschenrecht gilt und selbst die Polizisten die Straßensperre nicht wirklich einsahen. Jedes Land hat seine heilige Kuh. Freie Fahrt für freie Bürger in Deutschland, freie Waffen für freie Männer in den USA, warum nicht freies Gold für freie Brasilianer? Das Goldsuchen gehört zur brasilianischen Identität. Damit hat hier alles angefangen. Aber wenn die Journalisten nicht aufhören, darüber negativ zu schreiben, werden die Goldsucher wohl immer

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