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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Zigaretten mehr. Alle naß geworden. Eine ganze Stange versaut. Nennt man das Glück?
    Wir brachten das Boot ans Ufer und entluden so viel Gepäck, wie der Indianer tragen konnte; er war ein starker Indianer, und er hatte es nicht weit bis zu dem Weg, auf dem die Gruppe ging. Wir fuhren weiter, mit weniger Gepäck und nur noch drei Männern an Bord sank das Kanu nicht noch einmal. Allerdings war während des Entladens etwas geschehen. Rambozona hatte in einem der Bündel oder in einer der Kiepen ein paar Flaschen mit Selbstgebranntem gefunden. Grausames Zeugs, manche werden blind davon, außerdem gehörten die Flaschen Rambozona nicht. Das hatte ihn alles nicht interessiert. Und den Halbchinesen auch nicht. Nun stand Rambozona total besoffen hinten im Kanu und fuchtelte mit seiner Machete herum, fiel mehrmals ins Wasser, kletterte wieder rein und schlief endlich ein. Der Halbchinese saß vorne und schlief auch. Ich ruderte allein. Ich schlug allein die Äste weg, ich war allein. Ein interessanter Moment. Ich war kein Passagier mehr, ich begleitete niemanden mehr, ich wurde nicht mehr geführt. Was immer jetzt, gleich, danach oder demnächst auf diesem Fluß passierte, ich mußte mir selbst helfen und selbst entscheiden, wie es weiterging. Wenn sich der Fluß gabelte, wenn es plötzlich zwei Flüsse gab, und einmal auch drei, welchem Lauf sollte ich folgen? Ich folgte meinem Gefühl. Nach ein oder zwei Stunden, ich weiß es nicht mehr genau, wachten die beiden auf, und es stellte sich heraus, daß mein Gefühl richtig gerudert war. Dann begann es zu regnen.
    Im Regenwald regnet es nicht ununterbrochen. Tagsüber immer mal wieder kurz und manche Tage auch gar nicht. Der große, gewalttätige Regen kommt erst mit der Dunkelheit und bleibt dann meist die ganze Nacht. Vielleicht verhält es sich auch so, daß es der Regen ist, der hier alles verdunkelt, und wenn dann später die Dunkelheit des Abends anbricht, merkt es keiner mehr. Der Himmel duschte den Regenwald. So konnten wir nicht weiterfahren. Heute würden wir die Gruppe nicht wiedersehen. Nachdem das Boot am Ufer festgemacht und abgedeckt war, schufen wir uns mit den Macheten ein bißchen Platz im Unterholz, spannten zwischen den Bäumen die Hängematten auf und etwas höher eine Plane, und so hatten wir ein Dach. Und ein Feuer. Es gab Reis mit schwarzen Bohnen und einen Rest Zuckerrohrschnaps. Ich weiß nicht, wie lange die beiden Goldsucher miteinander geplaudert haben. Ich hörte, eingerollt in meiner Hängematte, noch eine Weile ihre Stimmen, wie ein Embryo Stimmen wahrnehmen mag. Und schlief ein.
    Rambozona weckte mich. «Onza!» flüsterte er, und Panik stand in seinem Gesicht. «Onza» heißt Jaguar. Daß ein Goldsucher und Krokodiljäger in Personalunion Todesangst hatte, machte auf der Stelle ein adrenalindurchflutetes Wesen aus mir. Und jetzt hörte auch ich ihn fauchen und knurren, seine Pranken schlugen durchs Gestrüpp.
    «Pistole», flüsterte Rambozona. «Gib mir deine Pistole.»
    «Ich habe keine Pistole», flüsterte ich zurück.
    Rambozona reagierte darauf erst ungläubig, dann mit Entsetzen. Jeder im Regenwald, der das Geld dafür hat, besitzt eine Feuerwaffe. Weil ich vor ein paar Tagen auf den Fotografen statt auf den Marketender gehört hatte, besaß ich keine. Und jetzt? Rambozona und der Halbchinese schlugen wie bekloppt mit ihren Macheten in Richtung schwarzer Jaguar, mir gaben sie eine Bratpfanne und einen Topf, zum Krachmachen. Nur ein paar Blätter waren zwischen dem Tod und mir. Er umkreiste uns, er startete Attacken, aber er war unsicher, er zog die Sache nicht durch. Einmal oder zweimal glaubte ich in der Dunkelheit seine gelben Augen zu sehen.
    Was ich dachte? Das Übliche. Ich bereute meine Sünden und schwor, falls die Sache gut ausging, von nun an alles richtig zu machen. Im Herzen des Amazonas und in finsterer Nacht betete ich wie ein Kind zu Gott, und ich weiß nicht, was letztlich den Ausschlag gab und uns rettete, das Gebet, die Macheten, der Krach oder die Morgendämmerung. Nach etwa drei Stunden Todesangst war der Spuk vorbei. Wir brachen hastig das Lager ab und ruderten, so schnell wir konnten. Einmal noch haben wir den Jaguar auf einem Baumstamm über unseren Köpfen gesehen, und als wir endlich wieder bei der Gruppe waren, gab es nicht nur Frühstück, sondern auch die Gewißheit, den ersten Tag und die erste Nacht im Regenwald überlebt zu haben, und das war ein sensationelles Gefühl.
    Ich hätte am liebsten alle in

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