Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Jaguar, aber glaubte nicht, daß ich ihn sah, oder, besser, ich sah ihn wie im Kino oder wie in einem Traum. Er ging mich irgendwie nichts an. Und weil ich nicht erschrak, als die große Raubkatze meinen Weg kreuzte, weil mir kein Adrenalin aus den Poren kochte, kein Angstschweiß mich verriet, keine Fluchtreflexe seine Jagdinstinkte anschalteten, war auch ich für den Jaguar irgendwie nicht real. Er sah kurz und, wie ich meine, verwundert zu mir rüber, überquerte die Straße und verschwand im Wald.
Auf der Lichtung, wo ich von meinem Erlebnis berichtete, nahm man das weniger locker. Die Goldsucher, die Feuerwaffen hatten, schossen in die Luft und dann in den Wald, die anderen nahmen ihre Macheten, brüllten, pfiffen oder machten sonstwie Krach. Nach einer Weile beruhigten sie sich wieder, trotzdem verschwanden sie in den nächsten Stunden nicht mehr hinter den Bäumen, wenn sie mal mußten, sondern blieben für ihre Notdurft auf der Lichtung und nahe am Feuer.
So vertrieben wir uns die Zeit, und weil jeden Tag aus dem Bus, der von São Gabriel kam, weitere Goldsucher ausstiegen, war die Gruppe nach drei Tagen groß genug, um die Expedition zu starten, aber der Fluß, von dem sie so oft sprachen, führte noch immer Hochwasser, deshalb mußten wir noch mal drei Tage auf der Lichtung warten. Das hatte Vorteile für die Gruppenchemie, man konnte sich ein bißchen kennenlernen, bevor es ernst wurde.
Außer mir und dem Fotografen waren es acht Männer und zwei Frauen. Zwei der Männer arbeiteten als Träger für uns. Wir hatten sie bereits in São Gabriel engagiert, und das machte sie in diesem Umfeld ein wenig zu Underdogs. Goldsucher sind Anarchisten. Jeder, den ich fragte, warum er Goldsucher geworden ist, hatte sofort eine Antwort darauf. Und es war bei allen dieselbe: Ich will keinen Boß. Ich kann keinen Boß ertragen. Lieber laufe ich wie ein Tier durch den Wald, als einen Boß zu haben. Danach kamen auch noch andere Gründe, und die waren von Mann zu Mann durchaus verschieden. Aber das erste war immer und überall: «No boss!»
Bobo und Pedro hatten einen Boß. Bobo würde das Gepäck des Fotografen tragen, Pedro meins. Außerdem würde Pedro unser Führer sein für den Fall, daß wir die Gruppe verlieren. Er ist den Weg oft gegangen, als freier Goldsucher, so wie die anderen hier, aber inzwischen hatte er Familie in São Gabriel, inzwischen trug er Verantwortung, inzwischen kannte er Menschen, mit denen er lieber zusammen war als mit den Irren im Wald. Machte der kleine, schlanke, aber durchgängig muskulöse Mestize deshalb ständig ein so sorgenvolles Gesicht, oder machte er sich auch Sorgen um mich? Der Ex-Major hatte uns zusammengebracht, und sollte mir etwas zustoßen, gäbe es für Pedro nachher ein paar Probleme in der Stadt. Er beobachtete mich, er checkte meine Kondition und wieviel ich trinke und rauche, und je mehr er das checkte, desto sorgenvoller sah er drein.
Der Träger des Fotografen dagegen erwies sich als das genaue Gegenteil. Bobo war immer gut drauf. Bobo lachte, Bobo machte Witze, Bobo nahm, was er kriegen konnte, und beim Nehmen gab es keinerlei Schamgrenze. Bobo gehörte zu den Menschen, die um eine Zigarette bitten und zwei nehmen, plus eine, die sie sich hinters Ohr klemmen. Beim Rauchen, beim Essen, beim Geld, Bobo war die nimmermüde Nimm-Maschine am Oberlauf des Rio Negro. Zu stolz, um zu betteln, zu gutmütig, um zu rauben. Deshalb nahm er selbstverständlich. Er hatte es einfach drauf. Und er war der einzige Schwarze in der Gruppe. Alle anderen waren halbe Indios, wie Pedro, oder weiße Brasilianer, und einen Kolumbianer gab es auch. Trotz des Rufes, den sein Volk weltweit genießt, schien er der harmloseste Mann hier zu sein. Auch der attraktivste, höflichste, intelligenteste. Mit seinem Gesicht wäre er in jedem anständigen Weltstadt-Café als Intellektueller durchgegangen. Was man von den anderen Männern der Gruppe nicht guten Gewissens sagen kann. Es ist sogar zweifelhaft, ob man sie überhaupt in die Cafés lassen würde, wenn sie nicht gerade als Exekutive der Schutzgeldmafia kämen.
Amazon zum Beispiel, der ruhigste hier. Ruhig im Sinne von wortkarg. Wenn ich ihm in die Augen sah, wußte ich, warum. Mit diesem Blick brauchte er weder viele noch große Worte, auch keine Drohgebärden und keine Pistole. Er war der härteste Mann, den ich bis dato kennengelernt hatte. Sein Körper war hart, sein Gesicht war hart, und wenn es stimmt, daß in den Augen die Seele liegt,
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