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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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hätte ich mich in ihrem Land nicht volkstümlich verhalten sollen? Ich verließ also Marrakesch und wäre auch jetzt nicht zurückgekommen, hätte es nicht zwei Probleme mit dem Verschwinden gegeben.
    Das erste Problem hat mit einem Umstand zu tun, den ich bisher noch nicht erwähnte: Ich hatte mal einen Mit-Träumer in Marrakesch. Meinen Freund Peter, ein Chefredakteur aus Berlin. Nicht ich habe den Mietvertrag unterschrieben, sondern er. Wir wollten den Riad mit seinem Zaubergarten gemeinsam als Teilzeit-Sultane nutzen und pendelten die ersten zwei Jahre auch gemeinsam zwischen unserer Realität im Herzen Europas und unserem Märchen im Herzen des Basars hin und her. Dann pendelten unsere Freundinnen mit, was sofort zu erheblichen Dissonanzen beim Thema Inneneinrichtung und Dekoration des Riads führte. Peter zog deshalb in ein anderes Medina-Haus um. Den Vertrag für unser altes überließ er mir per Handschlag und mit dem Versprechen meinerseits, daß er niemals für etwas bezahlen müsse, was ihn nichts mehr angehe. Weil sein neues Haus kleiner und billiger war als unser großes, kaufte er es. Und weil er jetzt eine Immobilie in Marrakesch hat, ist er für die marokkanische Gerichtsbarkeit erreichbar. Der Vermieter hatte in der Zeit meines Verschwindens bereits mehrere Male damit gedroht, ihn zu verklagen, und deshalb muß ich jetzt was tun. Der zweite Grund, noch einmal zurückzukommen, hat dagegen mit der Liebe zu einem Haustier zu tun.
    Ich hatte mal eine Katze in Marrakesch. Sie hieß Putzi und war so alt wie mein Mietvertrag. Sie hat eine Menge Nächte neben mir auf dem Dach gesessen und mit mir in die Sterne gesehen, und in den Mond. Manchmal drehte sie sich zu mir um und machte «Miau», und ich bin mir sicher, das hieß in meiner Sprache «Wie geil!» oder «Du bist ein echter Kumpel». Als sie noch klein war, habe ich sie in der Brusttasche meines Hemdes durchs Haus getragen, später bekam sie Junge in der rechten oberen Schublade meines Schreibtischs. In Putzis Seele sind, genau wie in meiner, die vierzig nächtlich flackernden Kerzenlichter wie tanzende Feuer-Feen eingebrannt. Sie hat zugehört, wenn ich zur Gitarre gesungen habe, und am Fußende meines Bettes geschlafen. Wenn ich schrieb, schnurrte sie dazu, entweder auf dem Tisch oder auf meinem Schoß, und irgendwann habe ich sogar ein Buch über sie geschrieben. Aber eigentlich kam es mir so vor, als habe sie es diktiert. Ihre Sicht der Dinge. Das Buch heißt «Das Haus der sprechenden Tiere», und während ich daran arbeitete, starb Omars Frau. Vielleicht kann man es ja auch so sehen: Ich habe einer Katze mehr Aufmerksamkeit als der Frau eines Freundes geschenkt, und darum mußte ich raus. Aus dem Haus. Aus dem kleinen Vorgarten zum Paradies im alten Basar der Königsstadt. Aus dem Märchen.
    Und Putzi? Sie mit nach Deutschland zu nehmen hätte folgendes bedeutet: eine Impfung gegen Tollwut durch einen von der EU anerkannten marokkanischen Tierarzt; eine weitere Impfung zwei Monate später; dann in den Bauch eines großen Flugzeugs und, in Deutschland angekommen, einen Monat Quarantäne. Lohn der Angst und aller Qualen wäre ein Migrantenschicksal im Altbau gewesen. Die Wohnung meiner Freundin ist schön, aber für eine Katze, die in einem Medina-Palast aufgewachsen ist, inakzeptabel. Aber wohin mit ihr in Marrakesch? Zu Peter nicht, weil er gegen Katzen allergisch ist, und Omar, der ihr so zugetan ist wie ich, hat in seinem Haus zwei Hunde. Deshalb gab ich Omar bei meinem Abschied im letzten Frühjahr etwas Geld, damit er Putzi so lange täglich füttert, bis er was anderes für sie gefunden hat. Er fand aber nichts anderes für sie. Zum Zeitpunkt meiner Rückkehr nach Marokko war Putzi also sieben Monate mehr oder weniger allein im Riad.
    Ich hatte mal ein schlechtes Gewissen in Marrakesch und betrat deshalb das Haus mit vierzehn Dosen Whiskas für sie und mit einer Palette Heineken für mich. Und Elhamdüllilah (Gott sei Dank): Omar hatte Wort gehalten. Sie sah prächtig aus. Wunderschön. Und kerngesund. Das Haus dagegen sah so aus, wie ein Haus unter dem Himmel Marokkos eben aussieht, in dem man sich über ein halbes Jahr lang nur um die Katze gekümmert hat. Eine Streubombe aus Dreck, Matsch, toten Blättern und zermatschten Orangen hatte in dem Patio eingeschlagen, in den Zimmern wohnten Insektenkolonien, das Dach war teilweise eingebrochen, und alle Pflanzen waren tot. Ich putzte den großen Tisch im Innenhof und die Kacheln darunter,

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