Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Am Abend haben wir die Kerzen angezündet, Omar und ich, vierzig Kerzen im Schnitt. Nach drei Stunden waren sie heruntergebrannt, die nächsten vierzig wurden entflammt, drei mal vierzig Kerzen pro Nacht waren in diesem Haus normal.
Ich hatte mal einen Traum in Marrakesch. Ich träumte davon, in diesem Haus zu bleiben, bis ans Ende meiner Tage. Vier Jahre schien es, als könnte das klappen, aber im fünften Jahr unterlief mir ein Fehler, der nicht mehr gutzumachen war. Ich bemerkte nicht, daß Omars Frau starb. Obwohl sie sich jeden Nachmittag in mein Haus schleppte, damit ich sie stöhnen hören konnte, hörte ich sie nicht, denn ich schrieb an einem Buch. Außerdem wird in Marokko auch viel falsch gestöhnt, dann ist man nicht krank, sondern pleite, und zudem mochte ich Omars Frau nicht sonderlich, denn ich hatte sie ein paarmal dabei ertappt, wie sie mich betrog. Trotzdem: Sie war die Frau von Omar, und damit die Frau meines besten Freundes in Marrakesch. Ich hätte ihr, selbst wenn sie mich betrog, bestahl und schlecht bekochte, die Operation bezahlen müssen. Aber ich war in meinem Buch verschwunden, während sie stöhnte, und als ich aus dem Buch wieder herauskam, stöhnte sie nicht mehr und war tot.
Ich hatte mal einen Freund in Marrakesch. Mit Omar verlor ich nicht nur meinen besten, sondern auch fast meinen einzigen vor Ort. Es ist nicht schwer, mit Marokkanern Freundschaft zu schließen, aber nahezu unmöglich, sie zu erhalten, weil die Mentalitäten so verschieden sind. Was für sie ein Spiel ist, bedeutet für uns verarschen. Leute, die ich seit fünfzehn Jahren kenne und bewirte, Leute, die seit fünfzehn Jahren mein Bier trinken und mein Haschisch rauchen, Leute, die ich seit fünfzehn Jahren entweder direkt bezahle oder ihnen Touristen und damit Geschäfte zuführe, verarschen mich noch immer, sobald sie eine Gelegenheit dazu sehen. Klar, ich bekomme den Residenzler-Bonus, bei den Touristen sind sie schlimmer, und natürlich verarschen sie sich auch untereinander rund um die Uhr. Es ist ein Wesenszug, sie können nicht anders. Alles und jeden über den Tisch zu ziehen gilt in Marokko als sportiv.
Ein paar Jahre schaffte ich es, dieser dunklen Seite des Marokkaners seine helle gegenüberzustellen. Ihre Musikalität, ihr Charme, ihre Lust am Geschichtenerzählen, ihr Humor und ihr Talent für Philosophie glichen ihren Makel wieder aus. Denn ich gewichtete Entertainment und Vertrauenswürdigkeit gleich. Inzwischen geht das nicht mehr immer, und immer öfter geht es auch gar nicht mehr. Inzwischen sind mir langweilige, aber ehrliche Menschen lieber. Darum ziehe ich von Marokko in die Schweiz. Oder nach Istanbul. Da sollen die einzigen Menschen leben, die unterhaltsam und ehrenvoll zugleich sind.
Soviel zu den seelischen und ethnopsychologischen Gründen, die Medina zu verlassen. Es gibt auch profanere. Nach Marrakesch kommen seit geraumer Zeit pro Jahr zehn Millionen Touristen. Pro Monat sind das knapp achthunderttausend. Mit den eine Million Marokkanern in der Stadt mischt sich das zwar noch nicht im Verhältnis eins zu eins, doch immerhin so, daß mir ein Bummel durch die Gassen keinen Spaß mehr macht. Auf die Magie eines urbanen Märchens wirkt Tourismus wie Terrorismus. Außerdem explodieren die Preise. Das ist nicht mehr Tausendundeine Nacht, sondern Tausendundein Prozent zuviel des Guten. Als ich vor siebzehn Jahren zum ersten Mal nach Marrakesch kam, kostete zum Beispiel das Schuheputzen zwei Dirham. Heute verlangen sie zwanzig und gehen bis zehn herunter. Bei den Häusern, um auf das Thema zurückzukommen, ist es ähnlich. Ein Haus wie meines hätte 1992 etwa dreißigtausend Euro gekostet. 2002 verlangten sie bereits zweihunderttausend. Inzwischen sind sie bei fünfhunderttausend angelangt. Das hat mich nie wirklich interessiert, denn ich gehe gern, wann ich will. Deshalb wohne ich lieber zur Miete. Vor vier Monaten ist der Mietvertrag abgelaufen. Ich hätte einen neuen bekommen können, aber nur mit einer Erhöhung der Miete von sechshundert Euro monatlich auf eintausendachthundert Euro. Außerdem standen im alten Mietvertrag einige Dinge, deren Nichteinhaltung inzwischen dazu geführt hat, daß ich dem Hausbesitzer noch fünfzehntausend Euro schulde, wie er mir drei Monate vor Vertragsende sagte. Natürlich war das Quatsch, und die beste Art, mit diesem Quatsch umzugehen, war, die Hitze des Sommers noch abzuwarten und dann zu verschwinden. So würden es die Marokkaner machen, und warum
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