Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
Vom Netzwerk:
festhalten. Und jedesmal knallte ich wieder gegen den Sattelknauf, als wollte ich mit meinem Becken einen Nagel einschlagen. Wir nahmen nur die kleinen Dünen, vielleicht so sieben Meter hoch, aber bei einem Schlag Minimum pro Meter runter macht das immer noch ganz schön viel Rabatz für die Wirbelsäule im Lendenbereich. Und hier folgt Düne auf Düne. Und es waren noch zweieinhalb Stunden bis zur nächsten Oase. Warum ich nicht vom Kamel abstieg und zu Fuß weiterging? Verdammt gute Frage. Die Antwort: Erstens, weil ich wirklich vor jedem Abstieg glaubte, diesmal kriege ich das hin. Und zweitens, weil hinter mir zwei schöne junge Kanadierinnen ritten. Und so taten, als sei das alles kein Ding. Erst später, viel später, erfuhr ich, daß es ihnen ziemlich ähnlich ging wie mir. Zada sprach von einem «maximum of discomfort» (Neu-Englisch für Folter), und Jane sagte: «Don’t ride them. Eat them.»
    Daß sie mit dem Schrecken davonkamen, während ich mir einen Bandscheibenvorfall einhandelte, mag damit zu tun haben, daß sie jünger sind als ich, außerdem habe nur ich es auf Indianerart probiert. So ein Kamel läuft immer komisch, auch zwischen den Dünen, und das letzte, was einem dazu einfällt, ist, daß Kamelreiten von irgendeinem orthopädischen Nutzen sein könnte. Wie Schwimmen, Laufen oder Tanzen. Die Bewegungen, die dieses Tier an jeden weitergibt, der auf ihm sitzt, haben mit den Bedürfnissen und Möglichkeiten der menschlichen Wirbelsäule nichts zu tun. Trotzdem versuchte ich, das Problem wie Winnetou zu meistern, und das war wohl mein größter Fehler auf dieser Tour. Man wird nicht eins mit einem Kamel. Man darf es nicht werden. Sich seinem schaukelnden Rhythmus anzupassen heißt, Schritt für Schritt die eigene Wirbelsäule zu verformen.
    Zurück zu Haus, brauchte es drei Monate, um diese Verformung wieder rückgängig zu machen, am Tropf, am Stock, in Solebädern, kurz: Ich habe genügend Autorität, um in dieser Sache ein für allemal die Menschheit zu warnen: Reitet sie nicht. Geht daneben. Wie es die Beduinen machen. Auch Habib, unser Führer. Seitdem ich ihn kenne, ist er nie geritten, warum auch, die Kamele gehen hier kein Stück schneller als ein Mensch. Also weshalb sollte er sich auf ihnen quälen oder gar verletzen, statt zu Fuß und entspannt das luxuriöse Erlebnis zu genießen, das diese Art Landschaft dem Karawanen-Wanderer kurz vor Sonnenuntergang zu bieten hat? Sobald man hinter den ersten Dünen ist, wird man von der Wüste Erg Chebbi verschluckt. Nur noch Formen und Farben, kein Leben mehr. Sanddünen, Sandtäler, Sandpässe, Sandbuchten, alles in allem ein Sandplanet. Auf dem jetzt im Minutentakt die Farben wechseln. Die Wüste wird rot, die Schatten werden länger, die Nacht übernimmt, die Milchstraße fährt ein, und wenn dann noch der Vollmond drüberzieht, wird alles zu einem Sandplaneten in Silberlicht. Und ihr vergeßt, woher ihr kommt, und wohin ihr wollt, vergeßt ihr auch, denn das ist die Qualität der Wüste, darum gingen Jesus und Moses und Mohammed und wie sie alle heißen, immer wieder gerne in sie hinein. Vergeßt die Vergangenheit, und vergeßt die Zukunft, vergeßt eure Handys, Termine und E-Mail-Adressen, vergeßt eure Kämpfe und eure Pläne, sogar eure Freunde, eure Frauen, eure Kinder werdet ihr vergessen, und all das ist groß, erhaben und gut für eure Seele. Aber eines dürft ihr nie vergessen: Setzt euch nicht auf die Scheißkamele!

Auszug aus der Medina
    (Marrakesch)
    I ch hatte mal ein Haus in Marrakesch. Vor einer Woche habe ich es verlassen. Aber ich wohnte sieben Jahre in ihm, und das muß reichen, um eine orientalische Immobilie zu einem Teil meiner Seele zu machen. Das ist billiger, als sie als Teil meiner Festkosten zu akzeptieren. Einerseits. Andererseits habe ich in dem Haus viel und erfolgreich geschrieben. Im Innenhof des Riads. An dem großen Tisch. Immer nur einen Satz, dann ging ich eine Runde um die beiden Bäume und den Brunnen des Patios und formulierte dabei den nächsten Satz. Die Bäume waren eine Spezialzüchtung. Sie trugen Zitronen und Orangen gleichzeitig. Der Duft ihrer Blüten lag wie Parfum in der Luft, ihre tausend und ein paar mehr tiefgrünen Blätter hielten die Hitze des Sommers in Schach, und was an Sonnenstrahlen durchkam, hat aus dem schwarzweißgekachelten Boden ein Mosaik aus goldenen Tropfen gemacht. Dazu plätscherte der Brunnen und zwitscherten die Vögel und erklang der Gesang des Muezzins, fünfmal am Tag.

Weitere Kostenlose Bücher