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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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jugendliches Image zu verpassen. Ich stellte mir vor, meine Töchter würden ähnliches vollbringen, und der Text war geschrieben. Depardieu hatte eine senegalesische Geliebte, das war etwas dröge, aber Lothar Matthäus heiterte mich wieder auf. Wir feierten ihn, weil er im Training vier Tore geschossen hatte.
    Drei Meldungen in zwei Stunden. Ich kam in Form. Wenn es so weiterlief, könnte ich um Mitternacht sechs geschafft haben, die letzten drei würde ich unterwegs schreiben, denn ich wollte mit den Jungs tanzen gehen. Ich schickte Nana mit zehn Dollar auf die Straße, um Marihuana zu kaufen, und unterbrach die Arbeit für einen Schwatz mit Frederico, der sich nach dem Stand der Dinge in Sachen Courtney Love erkundigen wollte. «Du hattest recht», sagte ich. «Nichts von dem, was ich über sie zu lesen bekam, deutet darauf hin, daß sie out ist. Wenn diese Frau out ist, dann ist mein Chefredakteur prähistorisch.»
    «Wie argumentiert er?»
    «Ihm gefällt nicht, daß sie so kurz nach dem Selbstmord ihres Mannes in ‹Vanity Fair› über Sex redet.»
    «Was hat sie gesagt?»
    «Daß sie zuviel Testosteron im Blut hat und deshalb auf Männer steht, die harten Sex mögen. Sie fühlt sich wie ein schwuler Transvestit.»
    «Aber das ist doch superprofessionell.»
    «Aber nicht katholisch.»
    Wir hatten oft darüber gesprochen. Was der Chef pro Meldung von mir erwartete, war ein Formationsflug in drei Disziplinen: Solide Recherche im Archivmaterial. Tiefenpsychologie. Poesie. Er wollte kleine Geschichten, jeweils zwanzig Zeilen, in denen alles steht und alles lebt, auf eine Pointe hin geschrieben, die den Staub wegfegt. Er wollte mein Herzblut. Alles andere war ihm egal. Ich tropfte es ihm noch dreimal bis Mitternacht aufs Papier, dann saß ich mit meinen Freunden und zwei jungen Kubanern in einem Lada, und wir fuhren die La Rampa zum Malecón herunter, die ich jetzt voller Leben sah, und eine Halsmuskelgymnastik setzte ein, die Teil meines Erscheinungsbildes in Kuba werden sollte.
    Als wir auf den Malecón einbogen, bekam ich Ruh’, weil ich den Kopf nur noch stur rechts halten mußte. Sie saßen auf der Mauer, pro Meter ein Mädchen, etwa sieben Kilometer lang. So etwas hatte ich noch nicht gesehen, nicht einmal geahnt hatte ich, daß es so etwas zu sehen gibt. Siebentausend Mädchen auf der Mauer, und etwa tausend standen vor einem großen Hotel, in dessen Foyer noch einmal gut fünfhundert waren, und von diesen – grob geschätzten – achttausendfünfhundert Mädchen, die ich in der ersten halben Stunde meiner Arbeitspause zu Gesicht bekam, suchte ich mir wie gewohnt die bescheuertste heraus. Ein cappuccinofarbenes Ärgernis, mit einem Lachen, das wie eine Brille hinter den Ohren aufgehängt schien. Tom entschied sich für eine Apothekerin im Marinekostüm, Frederico verlor sich im Gewühl. Als sich herausstellte, daß meine neue Freundin nur alkoholfreie Getränke, Eiscreme und hundert Dollar wollte, ließ ich sie stehen, um an einer Bar weiter meiner Arbeit nachzugehen (Linda de Mol, Lech Walesa) oder eine andere zu sehen. So kam es. Der Traumhochzeit-Frontengel und Polens Präsident wurden abgemahnt, weil Linda sich scheiden ließ und Walesa seine Söhne zu Alkoholikern erzog, und dann war Feierabend, und ich stand draußen neben der Eingangstür an eine Wand gelehnt, und der Wind, die Luftfeuchtigkeit und der Geruch des Meeres flossen mit den Stimmen der Menschen, den Motoren und den in Wellen an die Ufermauer schlagenden Gezeiten zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung zusammen, in der auch noch Platz für Neonlichter, Palmen und 56er Chevrolets war, und die Braut, die plötzlich aus dem Foyer in diese Szene trat, erschien mir wie ein fleischgewordenes Filmplakat.
    Die Basiswerte:
    Alter: Mitte Zwanzig.
    Rasse: Mulattin.
    Haare: bis zum Arsch.
    Größe: etwa eins achtzig.
    Beine: zwei Meter zehn.
    Wo sie endeten, begann ihr hautenges, knallrotes Kleid, passend zu den knallroten High-Heels und den knallroten Lippen, die mir ein schüchternes Lächeln schenkten, bevor sie einem Italiener hinterherlief. Wie sie die Treppe zur Hotelauffahrt nahm, beeindruckte mich. Sie war besoffen, sie lief auf Dreizehn-Zentimeter-Absätzen, aber sie fiel nicht, sie schwankte nicht, sie wankte nicht, und tat sie es doch einmal, dann fing sie jede Bewegung dieser Art mit einer Gegenbewegung ab, die wie Salsa anzusehen war. Eine Tänzerin. Ich suchte nach Zigaretten, und noch bevor ich mir Feuer geben konnte, stand ein anderes

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