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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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kennt, der ein bißchen zuviel über alle Grenzen reist. Ich stand auf und ging hoch zu Tom, um noch ein bißchen zu koksen.
     
    Als ich am Nachmittag in meinem Hotelzimmer wieder aufwachte, stellte ich fest, daß Nana noch bei mir war und daß es Zeit wurde, das Magazin anzurufen. Die Verbindung erwies sich als tadellos, trotzdem machte Nadia daraus ein Problem.
    «Wo bist du, Helge?»
    «Bin ich das Orakel von Delphi?»
    «Der Chef tobt! Warum rufst du so spät an?»
    «Wieso, es ist fünf!?»
    «Nein, Helge, hier ist es zwölf. Hörst du? Vierundzwanzig Uhr. Mitternacht! Ich will nach Hause.»
    Sie hatte sich in einen Zahnarzt verliebt, das hatte ich vergessen. Und wie diese Kombination aus schwarzer Haut und weißem Bettlaken zustande gekommen war, vergaß ich zunächst auch, denn Nadia stellte die Verbindung zum Chefredakteur her. Er nannte mich Arschloch, Wichser und undankbar, und ich solle endlich wieder Texte schreiben und nicht so ’nen Scheiß wie das letzte Mal. Und legte auf. Also die Prozedur noch einmal. 9 für das Amt, 88 für Ausland, 49 für Deutschland, dann die Nummer des Magazins und die Durchwahl von Nadia. Ich hatte vergessen, die Faxnummer vom Hotel Inglaterra durchzugeben, und sie hatten nicht danach gefragt. Außerdem konnte Nadia mir schon mal die Namen sagen.
    Arbeiten im Hotel. Seit drei Jahren reiste ich an der interkontinentalen Leine des Chefredakteurs. Ich hatte die Prominentenseiten, die er als Einstieg für sein Heft überaus wichtig nahm, aus allen europäischen Ländern geschrieben (ausgenommen Schweden, Norwegen, Finnland und Luxemburg), aus Istanbul, Beirut und Phoenix, Arizona, dreimal aus Neu-Delhi, einmal aus Kuala Lumpur und natürlich immer wieder aus Marokko, denn meinen Wohnsitz hatte ich zu dieser Zeit in Marrakesch. Man könnte sagen, ein verrücktes Leben, man könnte sagen, es war modern. Die Erfindung des Faxgeräts hatte es möglich gemacht. In Deutschland bestimmten sie, welche Prominente porträtiert werden sollten und wer gut und wer schlecht dabei wegkam. Als Grundlage dieser Bewertung galt die Weltsicht des Chefredakteurs, als Beweis reichte Archivmaterial. Bis zu zwanzig Seiten pro Person, bis zu hundertachtzig Seiten insgesamt. Das hat manchen Hotelrezeptionisten an seine Grenzen gebracht. Ich sah zu, daß ich runter ins Foyer kam, um sicherzustellen, daß genügend Faxrollen vorhanden waren, und traf Frederico und Karl. Karl hatte eine Mulattin im Arm. Sie kamen von ihrem ersten Spaziergang zurück.
    «Welche Leute sind es?» wollte Frederico wissen.
    «Chirac, Depardieu und Lothar Matthäus werden wir feiern, Courtney Love, Linda de Mol und Lech Walesa muß ich rügen, mit Jeanne Moreau, Wigald Boning und Winona Ryder kann ich machen, was ich will.»
    «Wieso mußt du Courtney Love rügen?»
    «Wieso nicht, Frederico? Wer ist die Frau in Karls Arm?»
    «Ich sag mal so: Er ist ihr auf der Straße nachgegangen. Sie ist stehengeblieben. Seitdem sind sie zusammen. Aber Courtney Love fertigzumachen ist total bescheuert. Das ist eine obergeile Braut.»
    Ich konnte mich auf Fredericos Urteil immer verlassen. Er ist Fernsehproduzent und hatte an seiner letzten Show so gut verdient, daß er nur noch reisen wollte. Vor vielen, vielen Jahren hat er meine Reisegeschichten gelesen, und vor einem Jahr haben wir uns kennengelernt. Karl war sein Freund. Den kannte ich seit dem Abflug aus Berlin. Früher war er stellvertretender Chefredakteur eines großen Boulevardblattes, jetzt war er der Goldmund der Gruppe, der alles wahnsinnig und unglaublich fand.
    «Maria will kein Geld», berichtete ein strahlender Karl. «Sie sagt, sie sei keine Prostituierte.»
    Ich ging wieder nach oben. Erfahrungsgemäß hatte ich eine Stunde, bis die ersten Fax-Attacken zur Arbeit riefen, ich würde ein Frühstück im Bett vertragen, und ich mußte Nana nach Hause schicken, damit ich in Ruhe schreiben konnte. Im Zimmer angekommen, sah ich Nana beim Duschen zu, sah ihr lange beim Duschen zu, stellte irgendwann den Fernseher an und sah, während sie duschte, einen kompletten Spielfilm auf dem Movie-Channel. Ich rief ihr mehrmals zu, daß sie kommen solle, denn der Film war lustig, aber als der Abspann vorbei war, duschte Nana noch immer.
    Die Meldungen schrieben sich zum Glück von selbst. Leichte Fälle. Jacques Chirac hatte den Kampf um Frankreich gewonnen, und viele sagten, dank seiner Tochter, die als Wahlkampfberaterin ihren Vater zu Madonna-Konzerten geschickt hatte, um ihm ein

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