Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
Vom Netzwerk:
draußen.
    Ein letztes Mal spricht Marv.
    Er bewegt sich. Eine Straßenlaterne sticht mit ihrem Schein auf ihn ein. Die Worte kommen wie Blut.
    Er sagt: »Das Kind ist jetzt zweieinhalb Jahre alt.«
     
     
    Wir steigen wieder ins Auto und sitzen eine ganze Weile schweigend da. Marv fängt an, unkontrolliert zu zittern.
Normalerweise ist sein Gesicht gebräunt, weil er viel im Freien arbeitet, aber jetzt ist er so weiß wie Papier.
    Jetzt ergibt alles einen Sinn.
    Ich sehe es.
    Wie Worte, die quer über sein Gesicht getippt sind.
    Eingraviert.
    Schwarz auf Weiß.
    Ja, es ergibt alles einen Sinn.
    Die Schrottkarre.
    Der beinahe schon krankhafte Geiz.
    Selbst seine Neigung zur Streitlust - ein Ausdruck, den ich, glaube ich, in der »Sturmhöhe« gelesen habe. Marv leidet. Er ist völlig allein. Und alles, was er tut, dient dazu, die Schuld aus seinem Magen zu waschen. Jeden verdammten Tag.
     
     
    »Ich will dem Kind etwas geben, verstehst du? Wenn er oder sie älter ist.«
    »Du weißt nicht mal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist?«
    »Nein.«
    Er zieht einen alten Notizzettel aus seiner Brieftasche. Er faltet ihn auseinander, und ich sehe, dass die Adresse, die darauf steht, bereits mehrfach nachgemalt wurde, damit sie nicht verblasst.
    »Cabramatta Road 17, in Auburn.«
    »Ein paar von ihren Freunden«, sagt Marv ausdruckslos. »Als die Familie einfach so verschwand, bin ich zu ihren Freunden gegangen und habe sie angefleht, mir zu sagen, wo sie ist. Mein Gott, war ich jämmerlich! Ich habe auf Sarah Bishops Türschwelle geheult, stell dir das vor!« Die
Worte scheinen jetzt in seinem Mund widerzuhallen. Er bewegt sich nicht. Wie taub. »Mann, diese Suzanne. Diese süße, liebe Suzanne.« Er spuckt ein sarkastisches Lachen aus. »Tja, ihr alter Herr war ordentlich streng, aber sie hat sich manchmal rausgeschlichen, eine Stunde vor Sonnenaufgang, und wir sind raus zu diesem alten Feld gefahren, wo mal jemand Mais angepflanzt hat.« Er muss jetzt fast lächeln. »Wir hatten eine Decke und wir sind dorthin gefahren und haben Spaß gehabt... Sie war einfach fantastisch, Ed.« Er schaut mich direkt an, denn er möchte mir etwas sagen und er will es richtig machen. »Sie hat so gut geschmeckt.« Das Lächeln klammert sich verzweifelt fest. »Manchmal haben wir’s riskiert und sind geblieben, bis die Sonne über den Horizont gestiegen war.«
    »Das hört sich herrlich an, Marv.«
    Ich habe diese Worte an die Motorhaube gerichtet. Ich kann nicht glauben, dass Marv und ich so miteinander sprechen. Normalerweise streiten wir uns, wenn wir uns beweisen wollen, dass wir uns mögen.
    »Der orangefarbene Himmel«, fährt Marv fort, »das nasse Gras - und an ihre Wärme werde ich mich mein Leben lang erinnern. In ihrem Innern und auf ihrer Haut...«
    Ich kann es mir gut vorstellen, doch mit dem nächsten, rasselnden Atemzug lässt Marv die Seifenblase zerplatzen.
    »Dann, eines Tages, war das Haus leer. Ich bin zu dem Feld gefahren, aber da waren bloß ich und das Gras.«
    Das Mädchen war schwanger.
    Das ist nichts Ungewöhnliches hier in diesem Viertel, aber es war offenbar etwas, was die Boyds nicht einfach so hinnehmen wollten.
    Sie verließen die Stadt.

    Keiner verlor ein Wort darüber und niemand vermisste die Boyds. In dieser Gegend herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Wenn man hier lebt und irgendwann genug Geld verdient hat, zieht man in eine bessere Gegend. Und wenn das Geld nicht ausreicht, dann sucht man sich in einer anderen Ecke der Stadt eine Bleibe, die genauso mies ist wie diese hier, nur um woanders sein Glück zu versuchen.
    »Ich nehme an«, sagt Marv nach einer Weile, »dass sich ihr Vater schämte, weil jemand seiner sechzehnjährigen Tochter ein Kind gemacht hatte, und dann ausgerechnet noch so einer wie ich. Ich vermute, er hatte allen Grund, streng zu sein...«
    An diesem Punkt angelangt, habe ich keine Ahnung mehr, was ich sagen soll.
    »Sie sind weggezogen«, sagt er zu mir. »Ohne ein Wort.« Jetzt schaut er mich an. Ich fühle seine Augen auf meinem Gesicht. »Und das schleppe ich seit drei Jahren mit mir herum.«
    Aber nicht mehr lange , denke ich, obwohl ich mir weiß Gott nicht sicher bin.
    Nein, Sicherheit empfinde ich wirklich nicht - eher eine wilde Hoffnung oder auch Verzweiflung.
     
     
    Er ist jetzt ruhiger, sitzt steif auf seinem Platz. Eine Stunde vergeht. Ich warte. Ich frage.
    »Warst du dort? In Auburn, meine ich.«
    Er versteift sich noch mehr. »Nein. Ich hab’s versucht,

Weitere Kostenlose Bücher