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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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ziehe meine weißen Jeans an und meine schönen sandfarbenen Stiefel. Ich suche mir ein anständiges Hemd aus dem Kleiderhaufen. Ich war in der Konditorei und wurde von einem Mädchen namens Misha freundlich bedient.
    »Kenne ich Sie nicht irgendwoher?«, fragte sie.
    »Vielleicht. Ich weiß nicht...«
    »Aber natürlich... Sie sind der Typ aus der Bank. Der Held.«
    Wohl eher der Idiot , dachte ich, aber ich sagte: »Oh ja, Sie sind das Mädchen hinter dem Schalter. Arbeiten Sie jetzt hier?«
    Sie nickte. »Ja.« Es war ihr ein bisschen peinlich. »Ich bin mit dem Stress in der Bank nicht fertig geworden.«
    »Wegen des Überfalls?«

    »Nein, mein Boss war der letzte Blödmann.«
    »Der Typ mit den Pickeln und den Schweißflecken?«
    »Genau der. Hat versucht, mir seine Zunge in den Mund zu stecken.«
    »Tja«, sagte ich. »So sind die Männer. Und zwar jeder Einzelne.«
    »Wie Recht Sie haben.« Aber zu mir war sie die ganze Zeit freundlich. Als ich schon halb zur Tür hinaus war, rief sie mir nach: »Lassen Sie sich den Kuchen schmecken, Ed.«
    »Danke, Misha«, rief ich zurück, aber vermutlich nicht laut genug. Ich hasse es, in der Öffentlichkeit aufzufallen.
    Und dann war ich weg.
    Ich muss kurz daran denken, als ich die Schachtel aufmache und mir den halben Marmorkuchen anschaue. Mir tut das Mädchen Leid. Es war wahrscheinlich nicht angenehm, von diesem Typen begrapscht zu werden, und trotzdem war sie es, die kündigen musste. Der Mistkerl! Ich würde mir wahrscheinlich ins Hemd scheißen, wenn ich einem Mädchen die Zunge in den Mund stecken müsste. Und ich habe weder Akne noch Schweißflecken. Lediglich null Selbstvertrauen. Das ist alles.
    Wie auch immer.
    Ich begutachte den Kuchen. Er riecht gut. Und ich stecke in meinen besten Klamotten, ausgehfertig.
    Ich steige über den Türsteher und ziehe die Tür hinter mir zu. Der Tag ist silbergrau und kühl. Ich mache mich auf den Weg zur Harrison Avenue. Punkt sechs bin ich da und die alte Dame setzt schon ihren Wasserkessel auf.
    Das Gras in ihrem Vorgarten ist golden.
    Meine Füße knirschen darüber, und es klingt, als würde
jemand in Toast beißen. Meine Stiefel scheinen Eindrücke zu hinterlassen, und ich fühle mich tatsächlich ein bisschen so, als würde ich über eine riesige Toastbrotscheibe marschieren. Die Rosen sind das einzig Lebendige. Voller Entschlossenheit stehen sie neben dem Eingang.
    Ihre Veranda besteht aus Beton. Alt und voller Löcher, genau wie meine.
    Die Fliegengittertür ist an den Kanten eingerissen. Ausgefranst. Ich öffne sie und klopfe an das Holz der Eingangstür. Im Takt meines Herzens.
    Ihre Schritte kämpfen sich zur Tür. Sie hören sich an wie das Ticken der Uhr, die die Sekunden bis zu diesem Augenblick zählt.
    Da steht sie.
    Sie schaut zu mir hoch und einen Moment lang verlieren wir uns ineinander. Sie fragt sich, wer ich bin, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann überzieht ein verblüfftes Erkennen ihr Gesicht und sie lächelt mich an. Sie lächelt mich mit so einer unglaublichen Wärme an und sagt: »Ich wusste, du würdest kommen, Jimmy.« Sie macht einen Schritt auf mich zu und umarmt mich ganz fest, schlingt ihre weichen, zerknitterten Arme um mich. »Ich wusste, du würdest kommen.«
    Als wir uns voneinander lösen, schaut sie mich wieder an, bis sich eine kleine Träne aus ihrem Auge erhebt. Die Träne tritt hinaus, findet eine Falte und folgt ihr abwärts.
    »Ohhh«, haucht sie und schüttelt ihren Kopf. »Danke, Jimmy. Ich wusste es. Ich wusste es.« Sie nimmt mich an der Hand und zieht mich ins Haus. »Komm rein«, sagt sie. Ich folge ihr.

    »Bleibst du zum Abendessen, Jimmy?«
    »Nur wenn du mich hier haben willst«, erwidere ich.
    Sie kichert. »Nur wenn du mich hier haben willst…« Amüsiert winkt sie ab. »Im Witzemachen warst du schon immer ein Ass, Jimmy.«
    Jawohl, ein echtes Ass.
    » Natürlich will ich dich hier haben«, fährt sie fort. »Dann können wir in Ruhe von alten Zeiten sprechen, nicht wahr?«
    »Sicher.« Sie nimmt mir den Kuchen ab und stellt ihn in die Küche. Ich kann hören, wie sie dort herumwerkelt, und rufe ihr zu, ob ich ihr irgendwie helfen kann. Sie sagt mir, ich solle mich einfach entspannen und es mir gemütlich machen.
    Die Fenster des Esszimmers und der Küche gehen zur Straße hinaus. Ich setze mich an den Esstisch und sehe die Menschen vorbeilaufen, vorbeieilen. Manche warten auf ihre Hunde und gehen dann weiter. Auf dem Tisch liegt ihr Rentenausweis. Ihr

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