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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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Name ist Milla. Milla Johnson. Sie ist zweiundachtzig.
    Als sie zurückkommt, trägt sie das gleiche Abendessen auf wie zuletzt: Salat und Suppe und Tee.
    Wir essen und sie erzählt mir von den Erlebnissen ihrer Tage:
    Fünf Minuten lang unterhält sie sich mit Sid, dem Metzger, aber sie kauft nichts. Sie schwatzt nur und lacht über seine Witze, die nicht wirklich witzig sind.
    Um fünf vor zwölf isst sie zu Mittag.
    Sie sitzt im Park, schaut den Kindern beim Spielen zu und den Skateboardern bei ihren Kunststücken und Sprüngen in der Halfpipe.
    Am Nachmittag trinkt sie Kaffee.

    Um halb sechs schaut sie sich »Glücksrad« an.
    Um sechs isst sie zu Abend.
    Um neun liegt sie im Bett.
    Später stellt sie mir eine Frage. Wir haben das Geschirr abgeräumt und ich sitze wieder am Tisch. Milla kommt herein und setzt sich nervös auf ihren Stuhl.
    Ihre zitternden Hände greifen.
    Nach meinen.
    Unsere Hände halten einander und ihre bittenden Augen öffnen sich meinem Blick.
    Sie sagt: »Jetzt erzähl mir, Jimmy« - ihre Hände zittern ein bisschen stärker - »wo warst du die ganze Zeit?« Ihre Stimme ist schmerzerfüllt, aber sanft. »Wo warst du?«
    Etwas steckt in meiner Kehle - die Worte.
    Endlich habe ich sie draußen und sage: »Ich habe nach dir gesucht.« Ich spreche diesen Satz aus, als wäre er die einzige Wahrheit, die ich jemals von mir gegeben habe.
    Sie teilt meine Überzeugung und nickt. »Das dachte ich mir.« Sie zieht meine Hände zu sich, beugt sich darüber und küsst meine Finger. »Du hast schon immer zu jeder Zeit die richtigen Worte gefunden, Jimmy.«
    »Ja«, sage ich, »sieht ganz so aus.«
     
     
    Bald darauf sagt sie, dass sie zu Bett gehen müsse. Ich habe das Gefühl, dass sie den Marmorkuchen ganz vergessen hat, und dabei hätte ich große Lust auf ein Stück. Aber es ist kurz vor neun, und ich bezweifle, dass ich noch einen Krümel dieses Kuchens abbekommen werde. Natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Ich frage mich, was für ein Mensch ich bin, weil ich mich darüber ärgere, dass mir ein schnödes Stück Kuchen entgeht.

    Fünf vor neun sagt sie zu mir: »Ich denke, ich sollte jetzt ins Bett gehen, meinst du nicht auch, Jimmy?«
    »Ja, Milla«, sage ich sanft, »das wäre gut.«
    Wir gehen gemeinsam zur Eingangstür und ich küsse sie auf die Wange. »Danke für das Abendessen«, sage ich und gehe über die Türschwelle.
    »Gern geschehen. Werde ich dich wiedersehen?«
    »Ganz bestimmt.« Ich drehe mich um und schaue sie an. »Bald.«
     
     
    Diesmal lautet die Aufgabe, die Einsamkeit dieser alten Dame zu vertreiben. Die Gewissheit wächst mit jedem Schritt, den ich meiner Hütte näher komme, und als ich den Türsteher erblicke, hebe ich ihn hoch und halte den fünfundvierzig Kilo schweren Brocken in meinen Armen. Ich küsse ihn, trotz seines dreckigen, stinkenden Fells, und ich fühle mich, als würde ich heute Abend die Welt in meinen Armen halten. Der Türsteher schaut mich amüsiert an und fragt dann: Wie wär’s mit einem Kaffee, alter Junge?
    Ich setze ihn ab, lache und mache dem alten Stinker einen Kaffee, mit viel Milch und Zucker.
    »Möchtest du auch einen Kaffee, Jimmy?«, frage ich mich.
    »Warum nicht?«, erwidere ich. »Gerne doch.« Und wieder muss ich lachen und fühle mich wie ein wahrhaftiger Glücksbote.

8
    Jimmy
    Es ist schon eine Weile her, seit ich den Beistelltisch bei meiner Mutter abgeliefert habe. Ich habe sie seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen - damit sie sich beruhigen konnte. Sie hat mich ganz schön runtergeputzt, als ich mit dem Tisch ankam.
    Am Samstagvormittag besuche ich sie.
    »Schau an, was die Katze in der Gosse aufgelesen hat«, sagt sie ironisch, als ich durch die Tür komme. »Wie geht’s, Ed?«
    »Gut. Und dir?«
    »Ich reiß mir den Arsch auf. Wie üblich.«
    Meine Mutter arbeitet in einem Automatenrestaurant an der Kasse. Sie tut rein gar nichts, aber wenn man sie fragt, wie es ihr geht, dann heißt es immer: »Ich reiß mir den Arsch auf.« Sie backt gerade einen Kuchen, von dem sie mir nichts abgeben will, weil sie jemanden erwartet, der wichtiger ist als ich. Vermutlich irgendeiner aus ihrem Wohltätigkeitsverein oder so.
    Ich gehe näher heran, weil ich wissen will, was für ein Kuchen es ist.
    »Nicht anfassen!«, fährt sie mich an. Ich bin noch mehr als eine Armeslänge entfernt.
    »Was ist das?«
    »Käsekuchen.«
    »Wer kommt denn?«
    »Die alten Marshalls.«
    Typisch - die Spießer von nebenan. Aber ich sage

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