Der Joker
»Ulysses« gelesen, Herrgott noch mal, und die Hälfte der Stücke von Shakespeare. Aber ich bin immer noch hoffnungslos, nutzlos und praktisch gesehen hilflos. Ich weiß, dass sie sich nie im Leben eine Beziehung mit mir vorstellen könnte. Und doch hat sie es mit anderen getan, die mir ziemlich ähnlich sind. Manchmal ertrage ich es nicht, daran zu denken. Daran zu denken, was sie gemacht haben, wie es sich anfühlt und dass sie mich zu sehr mag, um es mit mir zu tun.
Selbst in solchen Momenten weiß ich es.
Ich will nicht nur Sex von ihr.
Ich will mich an ihr formen, nur einen Augenblick lang, und wenn das alles ist, was mir vergönnt ist.
Sie lächelt mich an, wenn sie eine Runde gewinnt, und ich lächle zurück.
Hab Verlangen nach mir , flehe ich schweigend, aber es passiert nichts.
»Was ist eigentlich aus der Sache mit dieser Karte geworden?«, fragt mich Marv später.
»Was?«
»Du weißt verdammt genau, wovon ich rede.« Er deutet mit seiner Zigarre auf mich. Er könnte sich mal wieder rasieren.
Jeder lauscht, als ich lüge: »Ich habe sie weggeworfen.«
Marv nickt zustimmend. »Gut so. Das war doch nur ein Riesenscheiß.«
»Sehr richtig«, erkläre ich. Ende der Geschichte. Vermutlich.
Audrey schaut mich belustigt an.
Während der nächsten paar Runden denke ich darüber nach, was vorher am Abend geschehen ist, als ich zum Haus Nummer 13 in der Harrison Avenue ging.
Ich war ziemlich erleichtert, ganz ehrlich, denn eigentlich ist gar nichts geschehen. Die einzige Person, die ich dort angetroffen habe, war eine alte Frau, die hinter Fenstern ohne Vorhänge wohnt. Sie saß allein im Haus, kochte sich Abendessen, setzte sich hin, aß und trank dazu Tee. Ich glaube, sie aß Salat und Suppe.
Und Einsamkeit.
Auch die aß sie.
Sie gefiel mir.
Ich blieb die ganze Zeit in meinem Taxi sitzen und beobachtete sie. Es war heiß und ich trank etwas abgestandenes Wasser. Ich hoffte die ganze Zeit, dass es der alten Frau gut gehe. Sie wirkte sanft und freundlich. Ihr altmodischer Wasserkessel pfiff, bis sie zu ihm ging und ihn beruhigte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mit ihm redete, wie sie zu einem Kind geredet hätte. Zu einem weinenden Baby.
Die Vorstellung, dass menschliche Wesen so einsam sein können, dass sie sich mit der Gesellschaft von Geräten trösten, die pfeifen, und dass sie sich allein zum Essen hinsetzen müssen, machte mich traurig.
Nicht dass es mir viel besser geht.
Seien wir mal ehrlich …
Ich esse meine Mahlzeiten zusammen mit einem siebzehn Jahre alten Hund. Wir trinken gemeinsam Kaffee. Man könnte glauben, wir seien ein altes Ehepaar, wenn man uns so sieht. Und trotzdem …
Diese alte Dame hat etwas in meinem Herzen bewegt.
Als ihre Hände nach vorne griffen und sie sich Tee einschenkte, war es so, als ob sie auch etwas in mich hineingoss, wie ich da in meinem Taxi saß und schwitzte. Es kam mir so vor, als ob sie sanft an einer Schnur zog und mich ein kleines Stück weit öffnete. Sie schlüpfte in mich hinein, legte einen Teil von sich dort ab und verließ mich dann wieder.
Irgendwo in mir drin kann ich es immer noch fühlen.
Ich sitze hier und spiele Karten und ihr Bild liegt vor mir ausgebreitet auf dem Tisch. Nur ich kann es sehen. Ich sehe, wie ihre Hände zittern, wenn sie den Löffel zum Mund führt. Ich will sie lachen sehen oder den Ausdruck von Glück oder Zufriedenheit auf ihrem Gesicht, um glauben zu können, dass es ihr gut geht. Nein, ich will mehr. Ich merke schon bald, dass ich ganz sicher sein will.
Ich bin dran.
»Du bist dran, Ed.«
Ich bin dran, aber ich will nicht.
Ich habe nur noch zwei Karten und muss klopfen.
Die Kreuz-Drei und die Pik-Neun.
Das Problem ist, dass ich heute Abend mehr Karten ziehen will. Das Spiel interessiert mich nicht und auch nicht das Gewinnen. Ich glaube, ich weiß, was ich für die alte
Dame tun muss, und ich schließe eine Wette mit mir selbst ab.
Wenn ich das Karo-Ass aufnehme, dann habe ich Recht.
Wenn nicht, dann irre ich mich.
Ich vergesse zu klopfen, und jeder lacht mich aus, als ich die Karten ziehe.
Erste Karte: Pik-Dame.
Zweite Karte: Herz-Vier.
Dritte Karte: Ja.
Jeder wundert sich, warum ich so grinsen muss, außer Audrey. Audrey zwinkert mir zu. Sie weiß, ohne dass sie mich fragen muss, dass ich es absichtlich getan habe. Ich halte das Karo-Ass in der Hand.
Das ist viel besser als die Edgar Street.
Ich fühle mich gut.
Es ist Dienstag und ich
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