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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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sitzt.
    »Angelina«, sagt sie, »fass das bitte nicht an.«
    Die Stimme ist leise, aber es gibt keinen Zweifel. Es ist dieselbe Stimme, die durch die Nacht nach Hilfe schreit, wenn die Frau zusammengesunken auf dem Bett liegt und von einem Besoffenen vergewaltigt wird, dessen Libido so mächtig ist wie der Kilimandscharo. Es ist die Stimme der Frau, die auf der Veranda sitzt und leise in die stille, gleichgültige Nacht hineinschluchzt.
    Einen Sekundenbruchteil lang treffen sich die Augen des Mädchens und meine eigenen.
    Sie ist blond, hat grüne Augen und ist wunderschön. Die Mutter sieht genauso aus, aber Erschöpfung hat ihr Gesicht gezeichnet.
    Ich folge den beiden eine Weile, und als sich die Mutter einmal nach unten beugt, um eine Tütensuppe aus dem Regal zu nehmen, sehe ich, wie sie einfach so in Stücke zerbricht. Sie kauert da und würde am liebsten auf die Knie sinken, kann sich aber nicht gehen lassen.
    Als sie wieder aufsteht, bin ich bei ihr.
    Ich bin da, wir schauen uns an, und ich frage: »Geht es Ihnen gut?«
    Sie nickt und lügt.
    »Mir geht’s gut.«
    Ich muss etwas unternehmen. Und zwar bald.

7
    Harrison Avenue
    Du weißt wahrscheinlich bereits, was ich in der Angelegenheit Edgar Street beschlossen habe zu unternehmen. Zumindest wenn du begriffen hast, wie ich bin.
    Zögerlich.
    Nachgiebig.
    Schwach.
    Ich habe beschlossen, die Sache erst mal ruhen zu lassen. Man weiß ja nie, vielleicht klärt es sich irgendwie von selbst.
    Ja, ich weiß, diese Haltung ist von Grund auf verachtenswert, aber ich sehe keine Möglichkeit, wie ich zum jetzigen Zeitpunkt damit fertig werden soll. Ich brauche etwas Übung in diesen Dingen. Ich brauche ein paar Siege auf dem Konto, bevor ich mich mit einem Vergewaltiger von der Statur eines Mike Tyson messen kann.
    Eines Abends trinke ich wieder mal Kaffee mit dem Türsteher und ziehe die Spielkarte hervor. Am Abend zuvor habe ich ihm etwas Nescafé in seine Schale gegeben und er war recht angetan. Am Anfang wollte er das Zeug allerdings nicht anrühren.
    Er schaute mich an. Er schaute seinen Fressnapf an.
    Hin und her.
    Es dauerte geschlagene fünf Minuten, bis mir klar wurde, dass er gesehen hatte, wie ich Zucker in meine Tasse rührte, auf der steht: ›TAXIFAHRER SIND NICHT DIE GRÖSSTEN DEPPEN DER STRASSE‹. Als ich ihm ebenfalls etwas Zucker in den Napf schüttete, akzeptierte er die Brühe. Er schlürfte und leckte und leckte und schlürfte und soff die ganze Schale leer. Dann schaute er mich an und wollte mehr.

    Also, da sitzen der Türsteher und ich im Wohnzimmer. Er trinkt seinen Kaffee, während ich die Spielkarte anstarre und die anderen beiden Adressen lese. Harrison Avenue 13 ist die nächste auf der Liste, und ich beschließe, am nächsten Tag dorthin zu gehen, Punkt sechs Uhr.
    »Was meinst du, Türsteher?«, frage ich ihn. »Diesmal wird es etwas Besseres sein, oder?«
    Er grinst mich an. Das Koffein bringt seinen Kreislauf in Wallung.
     
     
    »Ich sag’s dir noch mal.« Marv deutet mit seinem Finger auf Ritchie. »Ich habe geklopft. Mir egal, was du sagst.«
    »Hat er geklopft?«, fragt Ritchie mich.
    »Ich weiß es nicht mehr.«
    »Audrey?«
    Sie denkt einen Moment lang nach und schüttelt dann den Kopf. Marv wirft die Hände in die Luft. Er muss jetzt vier Karten ziehen. So sind die Spielregeln bei »Annoyance«. Wenn man nur noch zwei Karten auf der Hand hat, muss man klopfen. Wenn man es vergisst, bevor man die vorletzte Karte abwirft, muss man vier Karten aufnehmen. Marv vergisst ziemlich oft zu klopfen.
    Er runzelt die Stirn, während er seine Karten zieht, aber insgeheim bemüht er sich, nicht zu grinsen. Er weiß genau, dass er nicht geklopft hat, aber er versucht immer wieder, damit durchzukommen. Das ist Teil des Spiels.
    Wir sind bei Audrey, auf ihrem Balkon. Es ist dunkel, aber das Flutlicht ist an, und die Leute schauen hoch, während sie an der Reihe von Mietshäusern vorbeigehen. Ich wohne nicht weit weg, gerade um die Ecke. Die Gegend ist ein bisschen schäbig, aber ganz nett.

    Während der ersten Stunde unseres Spiels schaue ich ständig Audrey an. Meine Liebe zu ihr ist zittrig und nervös, weil ich manchmal nicht weiß, was ich machen soll. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was soll ich ihr erzählen, wenn ich merke, wie der Hunger in mir hochsteigt? Wie würde sie reagieren? Ich glaube, sie ist von mir enttäuscht, weil ich auf die Uni hätte gehen können und stattdessen nur Taxi fahre. Ich habe James Joyces

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