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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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hat.
    Jämmerlich.
    Tollpatschig.
    Meine Beine kämpfen darum, sich zu bewegen und mich vorwärts zu tragen. Meine Füße machen den Eindruck, als ob sie die Erde durchpflügen, darin versinken. Ich atme so tief, wie ich nur kann, aber in meiner Luftröhre steht eine Mauer. Meine Lungen verhungern. In meinem Innern fühle ich, wie die Luft über die Mauer klettern will, um nach unten zu kommen, aber sie schafft es nicht. Trotzdem laufe ich weiter. Ich muss.
    Sie läuft zum Stadtrand, wo sich der Sportplatz befindet. Er liegt am Fuß eines kleinen Tals, und ich bin erleichtert, dass es bergab geht. Der Gedanke, nachher wieder bergauf laufen zu müssen, macht mich allerdings nervös.
    Als wir den Sportplatz erreichen, springt sie über den Zaun, zieht den Pullover aus und hängt ihn über das Gitter. Was mich betrifft: Ich falle in einen müden Schritt und breche im Schatten eines Teebaums zusammen.
    Das Mädchen dreht seine Runden.
    Um mich dreht sich die Welt.
    Ein Schwindelgefühl kreist mich ein und ich muss mich übergeben. Ich könnte sterben für etwas zu trinken, aber ich kann mich nicht aufraffen, aufzustehen und zum Wasserhahn zu gehen. Also bleibe ich einfach liegen, lang ausgestreckt und schweißgebadet.
    Du lieber Himmel, Ed, denke ich keuchend, du bist wirklich
ein Schlappschwanz. Du bist ja noch unfähiger, als ich dachte.
    Ich weiß , antworte ich.
    Es ist eine Schande.
    Ich weiß.
    Ich weiß auch, dass ich nicht hier unter diesem Baum liegen bleiben sollte, in meiner ganzen Länge und Pracht, aber ich schaffe es nicht, mich zu verstecken. Wenn das Mädchen mich sieht, dann sieht es mich halt. Ich kann mich kaum bewegen, geschweige denn irgendwo verbergen. Und ich weiß genau, dass ich morgen stocksteif sein werde.
    Sie bleibt ein paar Minuten lang stehen und dehnt sich, genau in dem Moment, in dem die Luft schließlich die Mauer in meiner Kehle durchbricht und meine Lungen erreicht.
    Ihr rechtes Bein liegt auf der oberen Strebe des Zauns. Es ist lang und herrlich.
    Denk nicht mal dran. Denk nicht mal dran , sage ich zu mir selbst. Zwischen dem ersten und dem zweiten Gedanken sieht sie mich, schaut aber gleich wieder weg. Sie beugt den Kopf und lässt ihre Augen über den Boden wandern. Genauso wie am ersten Morgen. Nur dieser Bruchteil einer Sekunde. Mir wird klar, dass sie mich niemals ansprechen wird. Ich begreife es, als sie das rechte Bein vom Zaun nimmt und das linke nach oben legt. Ich muss zu ihr hin.
    Als sie fertig ist mit Dehnen und nach ihrem Pullover greift, rappele ich mich auf und gehe auf sie zu.
    Sie läuft ein paar Schritte, bleibt dann aber stehen.
    Sie weiß es.

    Ich glaube, sie kann fühlen, dass ich wegen ihr hier bin.
    Wir sind noch etwa sechs oder sieben Meter voneinander entfernt. Ich schaue sie an und sie betrachtet den Boden vor meinen Füßen.
    »Hallo«, sage ich. Die Dämlichkeit meiner Stimme ist unwiderruflich.
    Pause.
    Ein Atmen.
    »Hi«, sagt sie. Ihre Augen kleben immer noch auf dem Boden vor mir.
    Ich mache einen Schritt. Nur einen einzigen. »Ich bin Ed.«
    »Ich weiß«, sagt sie. »Ed Kennedy.« Ihre Stimme ist hell, aber weich, so weich, dass man hineinfallen könnte. Sie erinnert mich an die von Melanie Griffith. Hast du ihre Stimme schon mal gehört? Genau so klingt dieses Mädchen.
    »Woher weißt du, wer ich bin?«, frage ich.
    »Mein Vater liest die Zeitung und ich habe dein Bild gesehen - nach dem Bankraub, du weißt schon.«
    Ich gehe vorwärts. »Ach ja.«
    Ein paar Sekunden ticken vorbei und schließlich schaut sie mich an. »Warum läufst du mir nach?«
    Ich stehe da inmitten meiner Erschöpfung und mache den Mund auf.
    »Ich bin mir noch nicht sicher.«
    »Du bist aber kein Perverser oder so was Ähnliches, oder?«
    »Nein«, sage ich und denke: Schau nicht auf ihre Beine. Schau nicht auf ihre Beine.
    Sie sieht mich jetzt direkt an und schenkt mir denselben Blick des Erkennens wie am ersten Morgen. »Gut zu wissen. Ich habe dich fast jeden Tag gesehen.« Ihre Stimme ist
so süß, dass es schon fast absurd ist. Sie schmeckt förmlich nach gezuckerten Erdbeeren.
    »Tut mir Leid, wenn ich dir Angst gemacht habe.«
    Vorsichtig gestattet sie sich, mir ein Lächeln zu schenken. »Schon gut. Es ist nur... Ich kann nicht besonders gut mit Leuten reden.« Wieder sieht sie weg, während die Scheu sie überkommt. »Wäre es in Ordnung, wenn wir einfach nicht reden würden?« Sie hetzt ihre Worte hervor, damit sie mich nicht kränken. »Ich meine, ich habe nichts

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