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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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dagegen, wenn du morgens da bist und mitkommst, aber ich kann einfach nicht reden, okay? Ich fühle mich unbehaglich.«
    Ich nicke und hoffe, dass sie es sieht. »Kein Problem.«
    »Danke.« Sie wirft dem Boden einen letzten Blick zu, nimmt ihren Pulli und stellt mir eine letzte Frage: »Du bist kein besonders guter Läufer, was?«
    Ich lasse mir die Stimme auf der Zunge zergehen. Sie schmeckt tatsächlich nach Erdbeeren. Vielleicht ist dies das letzte Mal, dass ich sie höre. Dann sage ich: »Nein, wirklich nicht.« Wir teilen ein paar Momente des gegenseitigen Einvernehmens und dann läuft sie weg. Ich schaue ihr nach und höre, wie ihre nackten Füße leicht auf die Erde treffen. Der Klang gefällt mir. Er erinnert mich an ihre Stimme.
     
     
    Jeden Morgen, bevor ich mich auf den Weg zur Arbeit mache, gehe ich hinaus zum Sportplatz, und da ist sie. Jeden Tag, ohne Ausnahme. Einmal regnet es in Strömen und trotzdem ist sie da.
    An einem Mittwoch nehme ich mir frei (und rede mir ein, dass man solche Opfer bringen muss, wenn man zu Höherem berufen ist). Mit dem Türsteher im Schlepptau, laufe
ich gegen drei Uhr zu ihrer Schule. Sie kommt mit ein paar Freunden heraus, was mich erleichtert, weil ich hoffte, dass sie nicht allein sein würde. Ihre Schüchternheit hatte mich befürchten lassen, dass sie einsam ist.
    Es ist komisch. Wenn man Menschen aus der Entfernung beobachtet, wird alles wort- und stimmlos. Es ist, als ob man einen Stummfilm betrachtet. Man stellt Vermutungen darüber an, was die Leute sagen. Man beobachtet, wie sich ihre Münder bewegen, und stellt sich vor, welche Geräusche ihre Füße auf dem Boden machen. Man fragt sich, worüber sie reden, und besonders, was sie denken.
    Mir fällt etwas Merkwürdiges auf. Jedes Mal wenn ein Junge vorbeikommt und sich mit den Mädchen unterhält, ein Stück mit ihnen geht, zieht sich die Läuferin zurück, schaut zu Boden. Wenn der Junge geht, ist wieder alles in Ordnung.
    Ich stehe da und denke eine Weile darüber nach, vermute dann, dass es ihr einfach an Selbstvertrauen mangelt, genau wie mir.
    Vielleicht glaubt sie, dass sie zu groß ist und zu ungelenk, merkt nicht, dass jeder sieht, wie schön sie ist. Ich denke, wenn es nur das ist, hat sich das Problem schon bald erledigt.
    Ich schüttele den Kopf.
    Über mich selbst.
    Du solltest dich hören!, sage ich mir. Von wegen - das Problem erledigt sich. Woher zum Teufel willst du das wissen? Etwa weil sich dein eigenes Problem erledigt hat? Hat es das? Wohl kaum. Es stimmt. Ich habe kein Recht, irgendwelche Prophezeiungen über die Zukunft dieses Mädchens zu machen oder irgendwelche Pläne für sie zu schmieden.
Ich muss nur tun, was ich tun soll, und darf lediglich hoffen, dass es genug ist.
    Ein paarmal beobachte ich nachts ihr Haus.
    Nichts passiert.
    Niemals.
    Während ich so dastehe und über das Mädchen nachdenke, über Milla und über den Schrecken in der Edgar Street, wird mir klar, dass ich noch nicht einmal den Namen dieses Mädchens weiß. Ich stelle mir einen Namen wie etwa Alison vor, aber meistens nenne ich sie in Gedanken nur die Läuferin.
    Ich gehe zu dem Leichtathletiktreffen, das im Sommer jedes Wochenende stattfindet. Sie ist da und sitzt bei ihrer Familie. Neben ihr hocken ein jüngeres Mädchen und ein kleiner Junge. Sie alle tragen schwarze Shorts und hellblaue Trikots, auf deren Rückseite ein rechteckiges Stück Stoff genäht ist. Auf dem Trikot der Läuferin steht die Nummer 176, direkt unter dem Slogan »Weil’s prima schmeckt und Kräfte weckt«.
    Die 1500 Meter der U15 werden aufgerufen und sie steht auf, fegt sich trockene Grashalme von den Shorts.
    »Viel Glück«, sagt ihre Mutter.
    »Ja, viel Glück, Sophie«, sagt auch ihr Vater.
    Sophie.
    Schön.
    Ich höre den Namen in meinen Gedanken und lege ihn sorgfältig über ihr Gesicht. Beides passt perfekt zusammen.
    Sie wischt immer noch Gras von ihren Shorts, als ich mich wieder an die anderen beiden Kinder erinnere. Sie waren weggegangen und ich konnte mich voll und ganz auf
Sophie konzentrieren. Das Mädchen steht jetzt beim Kugelstoßen, und der Junge hat sich mit einem hässlichen kleinen Kerl namens Kieren verzogen, um Krieg zu spielen.
    »Kann ich mit Kieren gehen, Mum? Bitte?«
    »Also schön, aber pass auf, wenn du aufgerufen wirst. Die 70 Meter sind bald dran.«
    »Okay. Komm, Kieren.«
    Einen Augenblick lang bin ich froh, dass ich einfach nur Ed heiße. Nicht Edward, Edmund oder Edwin. Nur Ed. Die unauffällige

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