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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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Mittelmäßigkeit fühlt sich ausnahmsweise einmal ganz angenehm an.
    Sophie sieht mich, als sie aufsteht. Ein kleines Stück Zufriedenheit lässt sich auf ihrem Mundwinkel nieder. Sie wirkt glücklich, mich zu sehen, aber dennoch wendet sie sich im selben Moment von mir ab. Sie geht mit einem Paar abgewetzter Sportschuhe mit Spikes in der Hand in Richtung der Startlinie. (Offenbar dürfen die Älteren bei den Langstreckenrennen Spikes tragen.)
    Ihr Vater ruft ihr etwas nach.
    »He, Sophie!«
    Sie dreht sich zu ihm um.
    »Ich weiß, dass du gewinnen kannst - wenn du es willst.«
    »Danke, Dad.«
    Eilig geht sie weiter, dreht sich noch einmal zu dem Platz um, wo ich in der Sonne sitze und mir gerade einen Schokoriegel in den Mund schiebe. Ein Stück Erdnuss klebt mir im Mundwinkel, aber es ist zu spät, es abzuwischen. Außerdem kann sie es nicht sehen, nicht aus dieser Entfernung. Sie wirft mir nur einen kurzen Blick zu und geht weiter. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.

    Wenn ich ein selbstgefälliger Kerl wäre, würde ich jetzt behaupten, dass diese Sache eine Kleinigkeit ist. Ein Kinderspiel.
    Aber das bin ich nicht.
    Ich kann mich nicht dazu bringen, eine solche Behauptung aufzustellen, weil ich immerzu an die Edgar Street denken muss. Ich weiß jetzt, dass für jede gute Botschaft, die ich überbringe, eine auf mich wartet, die mir Kummer und Schmerz bereitet. Und so bin ich dankbar für diese hier. Es ist ein schöner Tag und ich mag dieses Mädchen. Ich mag sie sogar noch mehr, als sie neben einem anderen groß gewachsenen und schlanken Mädchen läuft, die so aussieht, als hätte sie einen Golfschläger verschluckt. Sie laufen Seite an Seite, aber zum Schluss wird das andere Mädchen stärker. Ihre Schritte werden länger, und ein Mann schreit die ganze Zeit: »Komm schon, Annie! Komm schon, Annie! Vorwärts! Mach sie nieder, Kleines! Mach sie nieder! Schlag sie, Annie, du kannst es!«
    Ich würde lieber als Zweiter über die Ziellinie laufen, als mir diesen Mist zurufen zu lassen.
    Sophies Vater ist anders.
    Während des Rennens geht er hinunter zum Zaun und schaut aufmerksam zu. Er schreit nicht. Schaut nur. Von Zeit zu Zeit spüre ich die Anspannung in ihm, während er seiner Tochter wünscht, das andere Mädchen zu überholen. Als die andere schließlich vorbeizieht, schaut er kurz zu deren Vater hoch, aber das ist alles. Und als sie gewinnt, applaudiert er, und er applaudiert auch Sophie. Der andere Vater steht nur da mit einem obszönen Stolz, als wäre er es, der sich gerade die Seele aus dem Leib gerannt und das Rennen gewonnen hat.

    Sophie kommt zu ihrem Vater und er legt seinen Arm um sie. Die Enttäuschung hängt ihr bleischwer über den Schultern.
    Irgendwie erinnert mich Sophies Vater an meinen eigenen. Allerdings hat mich mein Vater nie umarmt, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er Alkoholiker war. Die Ähnlichkeit liegt in der Überlegenheit der Haltung, in der Stille. Mein Vater war ein stiller Mensch, der niemals etwas Schlechtes über jemanden oder zu einem sagte. Er ging in die Kneipe und blieb dort, bis sie zumachte. Dann ging er zu Fuß nach Hause, um nüchtern zu werden, was ihm aber nie besonders gut gelang. Und doch ist er jedes Mal am nächsten Morgen aufgestanden und zur Arbeit gegangen, ohne Ausnahme. Meine Mutter hat getobt und gewütet und ihn beschimpft, weil er sich wieder betrunken hatte, aber er hat nie darauf reagiert. Er hat sich nie mit ihr gestritten.
    Sophies Vater wirkt genauso, bis auf die Sache mit dem Besaufen. Kurz gesagt: Er wirkt wie ein Gentleman.
    Gemeinsam gehen sie zurück zur Mutter und setzen sich auf einem kleinen Hügel ins Gras. Vater und Mutter halten Händchen, während Sophie einen dieser Sportdrinks trinkt. Sie sehen aus wie eine jener Familien, die vor dem Schlafengehen zueinander sagen, dass sie sich lieb haben, und auch wenn sie aufwachen und bevor sie zur Arbeit oder in die Schule gehen.
    Die Schuhe mit den Spikes lösen sich von Sophies Füßen. Sie schaut sie an und seufzt: »Ich dachte, sie bringen mir Glück.« Ich vermute, dass sie die Schuhe von ihrer Mutter geerbt hat oder von einer anderen erfolgreichen Verwandten.
    Sie sitzen auf dem Boden und ich betrachte mir die
Schuhe genauer. Sie sind abgenutzt, gelb und blau. Alt und ausgelatscht.
    Und sie sind nicht richtig.
    Das Mädchen verdient etwas Besseres.

10
    Der Schuhkarton
    »Dich hab ich ja ziemlich lange nicht mehr gesehen.«
    »Ich hatte zu tun.«
    Audrey und ich sitzen auf

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