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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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will die Führung.
    Sophies Knie bluten von ihrem Sturz, und mir scheint, sie wurde auch von den Spikes der anderen Läuferinnen verletzt. Aber so, wie es ist, muss es sein. Die letzten hundert Meter verlangen ihr alles ab. Ich sehe, wie sich der Schmerz auf ihrem Gesicht versammelt. Ihre nackten Füße bluten auf dem Weg über den kahl werdenden Rasen. Sie lächelt fast vor Schmerzen, überwältigend schönen Schmerzen. Sie ist außer sich.
    Barfuß.
    Lebendiger als alles, was ich je gesehen habe.
    Sie schnellen auf die Ziellinie zu.
     
     
    Und das andere Mädchen gewinnt.
    Wie immer.

    Als sie über die Ziellinie geflogen sind, bricht Sophie zusammen, rollt sich auf den Rücken, bleibt liegen und schaut hinauf zum Himmel. Der Schmerz ist in ihren Armen, in ihren Beinen und in ihrem Herzen. Doch auf ihrem Gesicht liegt die Schönheit des Morgens und zum ersten Mal erkennt sie es. Halb sechs Uhr früh.
    Sophies Vater klatscht, wie immer, doch diesmal ist er nicht allein. Der Vater des anderen Mädchens klatscht ebenfalls.
     
     
    »Ein Wahnsinn, Ihre Tochter«, sagt er.
    Sophies Vater nickt bescheiden und sagt: »Danke. Ihre auch.«

B
    Ein dahergelaufener Kerl
    Ich werfe meinen Kaffeebecher und den Pappteller, auf dem das Würstchen serviert wurde, in den Abfalleimer und mache mich auf den Weg. Wie gewöhnlich klebt Soße an meinen Fingern.
    Hinter mir nähern sich schnelle Schritte, aber ich drehe mich nicht um. Ich will ihre Stimme hören.
    »Ed.«
    Unverkennbar.
    Ich wende mich um und lächle das Mädchen an, an deren Knien und Füßen das Blut klebt. Von ihrem linken Knie windet sich ein rotes Rinnsal das Schienbein hinab. Ich deute darauf und sage: »Du solltest dich verarzten lassen.«
    Ruhig antwortet sie: »Gleich.«

    Ein unbehagliches Gefühl breitet sich zwischen uns aus, und ich merke, dass ich nicht mehr hierher gehöre. Ihr Pferdeschwanz hat sich gelöst und ihr Haar glänzt herrlich. Ihre Augen sind es wert, dass man in ihnen ertrinkt. Und ihr Mund spricht, zu mir.
    »Ich wollte mich nur bei dir bedanken«, sagt sie.
    »Weil ich dafür gesorgt habe, dass du dir die Beine aufschlägst?«
    »Nein.« Sie widersetzt sich meiner Lüge. »Danke, Ed.«
    Ich gebe nach. »Gern geschehen.« Meine Stimme hört sich im Vergleich mit ihrer an wie ein Reibeisen.
    Als ich näher komme, sehe ich, dass sie nicht wegschaut. Weder beugt sie den Kopf noch lässt sie ihren Blick über den Boden wandern. Sie lässt ihn bei mir.
    »Du bist schön«, sage ich zu ihr. »Das weißt du doch, oder?«
    Ihr Gesicht rötet sich leicht und sie nimmt die Worte entgegen.
    »Werde ich dich wiedersehen?«, fragt sie, und um ehrlich zu sein, bedaure ich meine nächsten Worte schon jetzt.
    »Jedenfalls nicht mehr um halb sechs morgens.«
    Sie macht mit der Spitze des Fußes eine kleine Drehung und lacht lautlos in sich hinein.
    Ich will schon gehen, als sie mich noch einmal anspricht. »Ed?«
    »Sophie?«
    Es erschreckt sie, dass ich ihren Namen kenne, aber sie spricht weiter: »Bist du eine Art Engel oder ein Heiliger oder so?«
    Jetzt bin ich es, der innerlich lacht. Ich? Ein Heiliger?

    Folgendes bin ich: Taxifahrer. Loser des Viertels. Inbegriff der Mittelmäßigkeit. Ein Schlappschwanz im Bett. Ein jämmerlicher Kartenspieler. Ein Verlierer.
    Meine letzten Worte sage ich zu ihr.
    »Nein, ich bin kein Heiliger, Sophie. Nur irgend so ein dahergelaufener Kerl.«
    Wir lächeln uns zum letzten Mal zu und dann gehe ich. Ich spüre, wie sie mir nachsieht, aber ich drehe mich nicht mehr um.

D
    Zurück zur Edgar Street
    Es scheint so, als würde die Morgendämmerung in die Hände klatschen.
    Um mich aufzuwecken.
     
     
    Im ersten Licht in meinen Augen sehe ich drei Dinge, und zwar jeden Morgen.
    Milla.
    Sophie.
    Edgar Street 45.
    An den ersten beiden Gedanken steige ich gemeinsam mit der aufgehenden Sonne empor. Der dritte stellt mich bloß und lässt meine Haut erzittern und auch mein Fleisch und meine Knochen.
     
     
    Jeden Abend schaue ich mir Wiederholungen von »Ein Duke kommt selten allein« an. Dieser große, dicke Typ hockt an seinem Schreibtisch und futtert Marshmallows. Wie heißt er
doch gleich?, frage ich mich, als ich mir die erste Folge ansehe. Dann betritt Daisy die Szene und fragt: »Was ist los, Boss Hogg?«
    Boss Hogg.
    Natürlich.
    Meine Güte, Daisy sieht in ihren engen Jeans wirklich klasse aus. Jeden Abend, wenn ich sie sehe, beschleunigt sich mein Puls über alle Maßen, aber sie ist immer genauso schnell weg, wie

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