Der Joker
gewährt mir einen Ausweg. Die Gestalt vor mir sinkt zu Boden und ich stehe über ihm, warte ab.
Warte.
Versuche.
Eine bessere Lösung zu finden.
Gott, die Waffe in meiner Hand ist so steif. Sie ist kalt und warm und schlüpfrig und hart, alles auf einmal. Ich zittere jetzt unkontrolliert. Wenn ich mein Vorhaben wirklich in die Tat umsetzen will, muss ich den Lauf der Waffe in das
warme Fleisch des Mannes drücken. Ansonsten schieße ich daneben. Ich muss das Metall in ihn hineinbohren und zuschauen, wie sein eigenes Blut ihn zudeckt. Ich muss zusehen, wie er stirbt, in einem Strom unbewusster, krampfender Qualen. Und auch als ich mir selbst zu erklären versuche, dass ich das Richtige tue, will ich immer noch wissen, warum gerade ich es sein muss. Warum nicht Marv oder Audrey oder Ritchie?
Die Proclaimers donnern mir durch den Kopf.
Stell dir vor.
Stell dir vor, du bringst jemanden um, zu den Klängen von zwei schottischen Idioten mit breitrandigen Brillen und dämlichen Frisuren. Wie könnte ich mir je wieder dieses Lied anhören? Was soll ich machen, wenn es zufällig im Radio gespielt wird? Ich werde an jene Nacht denken, in der ich einen Mann ermordet, ihm mit eigenen Händen das Leben gestohlen habe.
Ich zittere und warte. Zittere und warte.
Er fängt an zu schnarchen. Und hört stundenlang nicht mehr damit auf.
Das erste Licht des Tages durchbricht die Luft, und als die Sonne sich dem östlichen Horizont nähert, beschließe ich, dass die Zeit reif ist.
Ich wecke ihn mit der Pistole auf. Diesmal ist er sofort hellwach. Wieder stelle ich mich drei Meter hinter ihn. Er rappelt sich auf die Füße, will sich umdrehen, besinnt sich dann aber eines Besseren. Ich komme näher, halte ihm die Waffe an den Kopf und sage: »Also schön. Ich wurde dazu auserwählt, dies hier zu tun. Ich habe beobachtet, was Sie Ihrer Familie antun, und damit ist jetzt Schluss. Nicken Sie,
wenn Sie mich verstanden haben.« Er gehorcht, langsam. »Ist Ihnen klar, dass Sie für das, was Sie getan haben, sterben werden?« Diesmal erfolgt keine Reaktion. Ich versetze ihm einen Schlag. »Nun?« Jetzt nickt er.
Die Sonne lugt über den Horizont und ich umklammere die Waffe. Mein Finger liegt am Abzug. Schweiß rinnt über mein Gesicht.
»Bitte«, fleht er. Er krümmt sich vornüber, als würde er gleich zusammenbrechen. Gewaltsam hält er sich zurück. Vielleicht hat er Angst, dass er auf jeden Fall sterben muss, wenn er sich fallen lässt. Ein verstörendes Schluchzen übermannt ihn. »Es tut mir Leid. Ich bin so... Ich werde es nie wieder tun. Ich tue es nie mehr.«
»Was?«
Er beeilt sich mit den Worten. »Sie wissen schon...«
»Ich will es aus Ihrem Mund hören.«
»Ich werde sie nie wieder zwingen, wenn ich...«
»Zwingen?«
»Vergewaltigen.«
»Aha. Reden Sie weiter.«
»Ich tue es nie wieder. Ich verspreche es.«
»Warum in Gottes Namen sollte ich mich auf Ihr Wort verlassen?«
»Sie können es, wirklich.«
»Das ist nicht die Antwort, die ich hören will. Der Kandidat hat null Punkte.« Ich drücke ihm die Waffe ein wenig fester gegen den Kopf. »Lassen Sie sich was Besseres einfallen!«
»Weil Sie mich töten, wenn ich es noch einmal tue!«
»Ich töte Sie jetzt!« Ich bin wie in einem Fieberwahn, völlig mit Schweiß überzogen - verzweifelt bemüht, mir das
Ereignis, das vor mir liegt, zu vergegenwärtigen. »Legen Sie die Hände auf den Kopf.« Er tut es. »Gehen Sie näher zur Kante.« Er tut es. »Wie fühlen Sie sich jetzt? Denken Sie nach, bevor Sie antworten. Es hängt eine Menge davon ab, ob die Antwort richtig oder falsch ist.«
»Ich fühle mich so, wie sich meine Frau jede Nacht fühlt, wenn ich nach Hause komme.«
»Fast von Sinnen vor Angst?«
»Ja.«
»Aha.«
Ich folge ihm bis zum Abgrund und visiere das Ziel genau an.
Der Abzug schwitzt unter meinem Finger.
Meine Schultern brennen.
Atme , erinnere ich mich. Atme .
Ein Augenblick voller Frieden erschüttert mich und ich drücke ab. Der Lärm des Schusses brennt sich durch meine Ohren, und wie in jenem Moment, in dem ich den Bankräuber stellte, liegt die Waffe nun warm und weich in meiner Hand.
Teil 2: Der Berg der Brüder
A
Nachwirkungen
Trockenheit.
Ich klettere aus dem Auto und schleppe mich zur Fliegengittertür. Das Gefühl in mir ähnelt einer völlig leblosen Ödnis. Es wandert durch mich hindurch. Im Zickzacklauf. Es ist mir nicht mehr wichtig, dass ich ein Botschafter bin. Die Schuld der Aufgabe hält mich
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