Der Joker
gut, dass ich die Waffe nicht dabeihabe , denke ich, aber ich weiß, dass das nur blödes Geschwätz ist.
»Hallo, Audrey«, sage ich, als ich an ihr vorbeigehe, aber sie hört mich nicht. Ich gehe zum Büro meines Chefs, Jerry Boston. Jerry ist ein ungeheuer fetter Kerl mit strähnigem Haar, das er sich über die kahle Stelle auf dem Kopf kämmt.
Ich klopfe an die Tür.
»Komm rein!«, ruft er. »Wird auch Zeit, dass du...« Er hält mitten im Satz inne. »Oh, ich dachte, es wäre Marge. Sie sollte mir schon vor’ner halben Stunde’nen Kaffee bringen.« Ich habe Marge gesehen, sie steht auf dem Parkplatz und raucht eine Zigarette, ich erwähne es aber nicht. Ich mag Marge. Außerdem habe ich keine Lust, in irgendeinen Streit hineingezogen zu werden.
Die Tür schließt sich hinter mir und Jerry und ich schauen uns an.
»Also«, sagt er. »Was gibt’s?«
»Sir, ich bin Ed Kennedy und ich fahre eins Ihrer...«
»Wie aufregend... Was willst du?«
»Mein Bruder zieht heute um«, lüge ich, »und ich wollte Sie fragen, ob ich heute mein Taxi mit nach Hause nehmen und ihm ein paar Sachen in das neue Haus fahren darf.«
Er schaut mich großzügig an und fragt dann: »Und warum in aller Welt sollte ich dir das erlauben?« Er lächelt. »Steht
auf meinen Taxis etwa ›Umzugsunternehmen‹? Sehe ich so aus, als hätte ich etwas zu verschenken?« Er ist jetzt merklich gereizt. »Kauf dir verdammt noch mal ein eigenes Auto.«
Ich bleibe ruhig, gehe aber einen Schritt näher. »Sir, ich bin manchmal Tag und Nacht für Sie gefahren und ich habe noch keinen Urlaub genommen.« Um ehrlich zu sein, wechselt meine Schicht jede Woche. Eine Woche lang fahre ich tagsüber, in der nächsten nachts. Ich weiß nicht genau, ob das legal ist. Die Neuen müssen in der Nacht fahren, die Veteranen bekommen den Tag. Ich arbeite schon seit neun Monaten hier und mache beides.
»Es geht lediglich um eine Nacht. Ich bezahle auch dafür, wenn Sie wollen.«
Boston beugt sich über die Schreibtischplatte nach vorn. Er erinnert mich an Boss Hogg.
Sein Kaffee kommt durch die Tür herein, zusammen mit Marge. »Oh, hallo, Ed. Wie geht’s?«
Dieser Geizhals wird mir den Wagen nie geben , denke ich, aber ich lächle sie freundlich an und sage: »Nicht schlecht, Marge, und selbst?« Sie stellt den Kaffee auf den Tisch und lässt uns höflicherweise wieder allein.
Big Jerry trinkt einen Schluck und sagt: »Ah, das tut gut!« Dann schmilzt sein hartes Herz. Dank Marge. Unschlagbares Timing. Er sagt: »Also schön, Ed. Weil du so gut arbeitest, kannst du ihn haben. Aber nur dieses eine Mal, kapiert?«
»Danke.«
»Arbeitest du morgen?« Er schaut auf den Dienstplan und beantwortet sich die Frage selbst. »Nachtschicht.« Er schlürft seinen Kaffee und erklärt dann abschließend: »Bring ihn mir morgen Mittag zurück. Punkt zwölf, keine Minute
später. Ich werde ihn mir am Nachmittag ansehen, er muss sowieso mal durchgecheckt werden.«
»Alles klar, Sir.«
»Und jetzt lass mich in Ruhe meinen Kaffee trinken.«
Ich gehe.
Ich gehe an Audrey vorbei, die immer noch mit ihrem neuen Kerl zugange ist. Ich verabschiede mich, aber wieder hört sie mich nicht. Sie wird heute Nacht nicht mit den anderen Karten spielen, genauso wenig wie ich. Marv wird stinksauer sein, aber er wird’s überleben. Er wird seine Schwester überreden, für Audrey einzuspringen, und seinen alten Herrn für mich. Marissa ist fünfzehn und ein nettes Mädchen, muss aber mit einem Bruder wie Marv eine Menge einstecken. Er macht ihr das Leben zur Hölle. Zum Beispiel wird sie von allen Lehrern gehasst, weil Marv in der Schule so ein Klugscheißer war. Sie glauben, dass Marissa nichts im Kopf hat, dabei ist sie ziemlich clever.
Wie auch immer, heute Abend steht bei mir etwas anderes auf dem Plan als Kartenspielen. Ich versuche, etwas zu essen, schaffe es aber nicht. Ich hole das Karo-Ass und die Pistole hervor, lege beides auf den Küchentisch und starre darauf.
Die Stunden tröpfeln vorbei.
Als das Telefon klingelt, bekomme ich einen Augenblick lang Angst, bis mir klar wird, dass es Marv sein muss. Kein Zweifel. Ich hebe ab.
»Hallo?«
»Wo zum Teufel steckst du, Ed?«
»Zu Hause.«
»Warum? Ritchie und ich hocken hier und langweilen uns zu Tode. Und wo ist Audrey? Ist sie bei dir?«
»Nein.«
»Wo ist sie dann?«
»Bei einem Typen von der Arbeit.«
»Warum?« Ich schwöre, er ist wie ein Kind. Ständig fragt er: »Warum?«, ohne wirklichen Grund. Wenn sie nicht
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