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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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da ist, ist sie nicht da. Punkt. Marv begreift nicht, dass man daran nichts ändern kann.
    »Marv«, sage ich. »Hör zu, ich habe heute Abend etwas Wichtiges vor. Ich komme nicht.«
    »Was hast du denn so Wichtiges vor?«
    Soll ich es ihm sagen? , frage ich mich. Warum eigentlich nicht? »Also gut, Marv. Ich werde dir erklären, warum ich heute nicht kommen kann...«
    »Schieß los.«
    »Okay«, sage ich. »Ich muss jemanden umbringen, klar? Das wirst du doch sicher verstehen.«
    »Mann«, sagt er jetzt ziemlich genervt, »verarsch mich nicht, Ed. Ich hab keine Lust auf deine miese Litanei.« Litanei? Seit wann besitzt Marv einen derartigen Wortschatz? »Mach einfach, dass du herkommst! Komm her oder ich lass dich nicht beim Knochenbrecher mitmachen. Ich habe gerade heute mit ein paar Kumpeln darüber gesprochen.« Der Knochenbrecher ist eine absurde Abart von Australian Football, die jedes Jahr vor Weihnachten auf dem Sportplatz ausgetragen wird. Es wird barfuß gespielt, von ein paar Idioten wie Marv, der mich in den letzten paar Jahren dazu überreden konnte mitzuspielen. Und jedes Jahr breche ich mir fast das Genick dabei.
    »Dann streich mich eben in diesem Jahr«, sage ich zu ihm. »Ich komm heute nicht.« Ich lege auf. Wie erwartet fängt das Telefon gleich wieder an zu klingeln. Ich hebe ab
und lege sofort wieder auf. Ich hätte beinahe gelacht bei dem Gedanken daran, wie Marv jetzt neben dem Telefon steht und flucht. Und jetzt dreht er sich gleich um und brüllt: »Marissa! Komm her, wir wollen Karten spielen!«
     
     
    Ich halte mich nicht lange mit irgendwelchen Nichtigkeiten auf, sondern konzentriere mich ganz auf das, was mir bevorsteht. Dies ist die einzige Nacht, in der ich meinen Plan ausführen kann. Die einzige Nacht mit dem Taxi. Die Nacht, der ich mein Zeichen aufdrücken werde. Die Nacht der Waffe.
    Eher als ich gehofft habe, wird es Mitternacht.
    Ich küsse den Türsteher auf die Wange und gehe aus dem Haus. Ich schaue nicht zurück, weil ich fest entschlossen bin, später durch dieselbe Tür wieder ins Haus hineinzugehen. Die Pistole steckt in meiner rechten Jackentasche, die Spielkarte in der linken, zusammen mit einem Flachmann mit Wodka, in dem ich eine Hand voll Schlaftabletten aufgelöst habe. Hoffentlich funktioniert es.
    Im Gegensatz zu den Nächten zuvor gehe ich nicht in die Edgar Street. Stattdessen bleibe ich in der Nähe der Main Street und warte dort. Wenn heute Nacht die Kneipen schließen, wird ein Mann nicht nach Hause zurückkehren.
    Es ist schon spät, als die Betrunkenen aus den Bars torkeln. Mein Freund ist nicht zu übersehen, allein schon wegen seiner gewaltigen Körpergröße. Er brüllt seinen Saufkumpanen einen Abschiedsgruß zu, ohne zu ahnen, dass es das letzte Mal sein wird. Ich wende mein Taxi, sodass ich in dieselbe Richtung blicke wie er. Im Außenspiegel sehe ich ihn näher kommen. Dann geht er vorbei. Er ist schon ein ganzes Stück die Straße hinabgelaufen, als ich schließlich
den Motor anlasse und ihm nachfahre. Der Schweiß auf meinem Körper fühlt sich ganz natürlich an, und ich weiß genau, dass ich die Sache durchziehe. Ich befinde mich mitten im Auge des Sturms. Es gibt kein Entrinnen.
    Ich fahre neben ihm her und spreche ihn an.
    »Kann ich Sie mitnehmen?«
    Er schaut zu mir und rülpst. »Ich bezahl nich dafür.«
    »Na, kommen Sie schon, Sie sehen gar nicht gut aus - ich fahr Sie umsonst.« Da grinst er, spuckt aus und geht um den Wagen herum zur Beifahrerseite. Nachdem er eingestiegen ist, will er mir umständlich den Weg zu seinem Haus erklären, aber ich sage: »Schon gut. Ich weiß, wo Sie wohnen.« Eine Aura umgibt mich, die mich betäubt. Ohne diese Aura könnte ich das alles nicht durchstehen. Ich denke an Angelina und daran, wie ihre Mutter vor meinen Augen im Supermarkt zerbrochen ist. Ich muss es tun. Du musst, Ed. Ich nicke zustimmend.
    Ich ziehe die Flasche Wodka aus der Tasche und biete sie ihm an. Ohne zu zögern, greift er danach.
    Ich wusste es , gratuliere ich mir selbst. Ein Mann wie der da nimmt sich alles, was er will, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Ein Mann wie ich denkt zu viel nach.
    »Klasse«, sagt er und nimmt einen kräftigen Schluck.
    »Behalten Sie die Flasche«, sage ich.
    Er sagt nichts, sondern trinkt weiter. Ich fahre an der Edgar Street vorbei Richtung Westen, nähere mich in großem Bogen dem hinteren Ende der Stadt. Da draußen, an einer Schotterstraße, gibt es einen Ort, der »Dom« genannt wird.

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