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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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Nächste, der etwas sagt, ist Audrey, und sie ist auch die Einzige, die eine vernünftige Frage stellt. »Also, warum, Ed?« Ich denke, sie vermutet schon, dass die Sache mit dem Kreuz-Ass zusammenhängt.
    »Der Priester ist ein netter Kerl, und ich dachte, es wäre nicht schlecht, selbst wenn wir es nur aus Spaß machen.«
    »Kommt er mit?«
    Marv deutet auf den Türsteher.
    »Natürlich nicht.«
    Ritchie erweist sich als mein Retter. Er mag ja ein Faulpelz sein, der von Sozialhilfe lebt, ein Glücksspieler, und außerdem hat er die schlechteste Tätowierung der ganzen Welt auf dem Arm, aber er lässt sich fast immer herumkriegen. In seiner typischen, liebenswerten Art sagt er: »Klar, Ed. Ich gehe mit dir in die Kirche.« Und dann fügt er hinzu: »Zum Spaß, okay?«
    »Sicher«, sage ich.
    Dann Audrey: »Okay, Ed.«
    Jetzt zu Marv, der weiß, dass er sich in einer kniffeligen Situation befindet. Er will nicht mitgehen, aber wenn er sich weigert, läuft er Gefahr, für einen richtigen Mistkerl gehalten zu werden. Schließlich stößt er die Luft aus seinen Lungen und sagt: »Du lieber Himmel, ich glaub’s ja nicht. Ich komme mit, Ed.« Er lacht unbehaglich. »Kirche am Sonntag.« Schüttelt den Kopf. »Mein Gott.«
    Ich nehme die Karten auf. »Ganz genau.«

    Später am Abend klingelt wieder das Telefon. Ich lasse mich nicht einschüchtern.
    »Hallo?«
    »Hi, Ed.«
    Es ist meine Mutter. Ich atme erleichtert aus und mache mich für das Sperrfeuer bereit. Ich habe eine Zeit lang nichts von ihr gehört, und ich nehme an, dass sie die Beleidigungen loswerden will, die sich in den zwei Wochen - oder ist es schon ein Monat? - aufgestaut haben.
    »Wie geht’s dir, Ma?«
    »Hast du Kath angerufen? Sie hat heute Geburtstag.«
    Kath, meine Schwester.
    »Ach du Scheiße.«
    »Ach du Scheiße, stimmt genau, Ed. Jetzt setz deinen Arsch in Bewegung und ruf sie an.«
    »Alles klar, ich...«
    Die Leitung ist tot.
    Niemand kann ein Telefonat so grausam ermorden wie meine Mutter.
     
     
    Der einzige Fehler, den ich begehe, ist, dass ich nicht nach Kaths Telefonnummer gefragt habe, für den Fall, dass ich sie nicht finden kann. Ich hatte so ein Gefühl, dass sie mir verloren gegangen ist, ein Gefühl, das sich bewahrheitet, als ich jede Schublade und jeden Winkel der Küche durchsuche. Die Nummer ist nirgends und sie steht auch nicht im Telefonbuch.
    Oh nein.
    Richtig geraten.
    Mir bleibt nichts anderes übrig, als meine Mutter noch mal anzurufen.

    Ich wähle.
    »Hallo?«
    »Ma, ich bin’s.«
    »Was ist jetzt schon wieder, Ed?« Ihr Seufzen sagt mir, wie genervt sie ist.
    »Gibst du mir mal Kaths Nummer?«
    Den Rest kannst du dir denken.
     
     
    Es ist Sonntag, und zwar schneller als erwartet.
    Wir sitzen ziemlich weit hinten in der Kirche.
    Ritchie sieht recht glücklich aus und Audrey wirkt zufrieden. Marv hat einen Kater - hat sich wieder mal am Bier seines Vaters besoffen - und ich bin aus irgendeinem Grund nervös.
    In der Kirche sitzen außer uns lediglich noch etwa ein Dutzend Leute. Die Leere ist bedrückend. Der Teppich ist voller Löcher und die Kirchenbänke wirken verdrießlich. Nur die Bleiglasfenster sehen erhaben und heilig aus. Die restlichen Kirchgänger sind alle alt und hocken da wie gebeugte Märtyrer.
    Als Vater O’Reilly hereinkommt, sagt er: »Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen.« Einen Augenblick lang sieht er aus wie ein geschlagener Mann. Dann bemerkt er uns vier im Hintergrund. »Und ein besonderes Willkommen den Taxifahrern dieser Welt.«
    Die kahle Stelle auf seinem Kopf schimmert in dem Licht, das durch eines der Bleiglasfenster fällt.
    Er schaut auf, um mich zu begrüßen.
    Ich lache, aber ich bin der Einzige.
    Ritchie, Marv und Audrey drehen sich zu mir und starren mich an. Marvs Augen sind blutunterlaufen.

    »Schlimme Nacht?«, frage ich ihn.
    »Furchtbar.«
    Der Priester sammelt seine Gedanken und lässt den Blick über seine Zuhörer gleiten. Ich merke, dass er all seine Kraft zusammennimmt, um seine Pflicht mit Freude und Lebendigkeit zu erfüllen. Vater O’Reilly holt Luft. Die Predigt beginnt.
     
     
    Später, als die Zeremonie erledigt und vorbei ist, sitzen wir alle draußen beisammen.
    »Was sollte das ganze Gesabbel über Schäfer und Schafe?«, fragt Marv. Er liegt im Gras. Sogar seine Stimme hört sich verkatert an.
    Wir lagern unter einer riesigen Trauerweide, die ihre Blätter auf uns niederweint. In der Kirche wurde eine Schale herumgereicht, in die man Geld legen sollte,

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