Der Joker
Das ist doch eine echte Schande, oder etwa nicht? Es ist... unbeschreiblich hässlich.«
Joe stimmt herzhaft zu. »Da haben Sie Recht, Vater.«
»Gut. Also, ihr habt mich verstanden, ja?«
Sie haben verstanden.
»Gut«, sagt der Vater noch einmal und begleitet mich noch zur nächsten Ecke.
Wir schütteln uns die Hände und verabschieden uns. Der Vater ist schon fast außer Sichtweite, als mir sein Bruder wieder einfällt. Ich drehe mich um, renne zurück und rufe: »He, Vater!«
Er hört mich und wendet sich schnell um.
»Das hätte ich beinahe vergessen.« Ich höre auf zu rennen und bleibe etwa fünfzehn Meter vor ihm stehen. »Ihr Bruder.« Die Augen des Priesters greifen nach mir. »Er bat mich, Ihnen auszurichten, dass ihn die Gier noch nicht aufgefressen hat.«
Da leuchten die Augen auf und überziehen sich gleichzeitig mit einem Hauch Bedauern. »Tony…« Seine Worte sind leise und sie kullern mir entgegen. »Ich habe meinen Bruder schon sehr lange nicht mehr gesehen. Wie geht es ihm?«
»Nicht schlecht«, antworte ich mit einer Sicherheit, die ich selbst nicht begreife. Aber mein Bauch sagt mir, dass dies die richtige Antwort ist. Wir stehen einfach nur da, inmitten von Unbehagen und Müll.
»Alles in Ordnung, Vater?«, frage ich.
»Aber sicher, Ed«, erwidert Vater O’Reilly. »Danke für deine Anteilnahme.«
Er wendet sich ab und geht weg. Zum ersten Mal sehe ich in ihm nicht den Priester.
Nicht einmal den Mann.
In diesem Moment ist er für mich lediglich ein Mensch, der die Henry Street entlang nach Hause geht.
Kontrastprogramm.
Ich bin bei Marv und wir schauen uns »Baywatch« an, ohne Ton. Die Handlung oder die Dialoge sind uns völlig egal.
Wir hören uns Musik von Marvs Lieblingsband an, The Ramones.
»Kann ich was anderes auflegen?«, fragt Ritchie.
»Ja, leg Pryor auf«, sagt Marv. Mittlerweile nennen wir sogar schon Jimi Hendrix Richard Pryor. Die ersten Takte von »Purple Haze« erklingen, und Marv fragt: »Wo ist Audrey?«
»Hier bin ich.« Sie kommt gerade zur Tür herein.
Ritchie schnuppert in Richtung der offen stehenden Tür. »Was ist das für ein Gestank?«, fragt er und krümmt sich. »Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
Marv weiß sofort, was los ist. Er zeigt mit dem Finger auf mich. Anklagend. »Du hast doch wohl nicht den Türsteher mitgebracht?«
»Ich musste einfach. Er sah so einsam aus, als ich gehen wollte.«
»Du weißt genau, dass ich ihn hier nicht haben will.«
Der Türsteher schaut zur Hintertür herein.
Er bellt Marv an.
Marv ist der Einzige, den er anbellt.
»Er mag mich nicht«, behauptet Marv.
Erneutes Gebell.
»Der Grund dafür ist, dass du ihn immer böse anguckst und ständig über ihn herziehst. Er versteht, was du sagst, klar?«
Wir streiten uns noch ein bisschen, dann teilt Audrey die Karten aus.
Sie räuspert sich. »Meine Herren, können wir?«
Wir setzen uns hin und ich nehme mein Blatt auf.
Im dritten Spiel ziehe ich das Kreuz-Ass.
Vater O’Reilly , denke ich.
»Was hast du am Sonntag vor, Marv?«
»Was meinst du damit - was habe ich am Sonntag vor?«
»Was glaubst du denn, was ich meine?«
Ritchie mischt sich ein. »Mann, Marv, sei doch nicht so empfindlich. Ich glaube, Ed will einfach nur wissen, ob du am Sonntag schon was vorhast.«
Jetzt zeigt Marv mit dem Finger auf Ritchie. Er ist heute voller Feindseligkeit, weil ich den Türsteher mitgebracht habe. »Jetzt fang du nicht auch noch an, Pryor.« Dann schaut er Audrey an. »Und du kannst auch den Mund halten.«
Audrey ist verblüfft. »Was hab ich denn gemacht, verdammt noch mal?«
Ich unterbreche den Plausch. »Wie auch immer, Marv. Eigentlich meinte ich euch alle.« Ich lege meine Karten mit der Vorderseite nach unten auf den Tisch. »Ich möchte euch um einen Gefallen bitten.«
»Was für einen Gefallen?«, will Marv wissen.
Alle hören jetzt aufmerksam zu.
Wartend.
»Nun, ich habe mich gefragt, ob wir nicht alle...« - und dann jage ich die Worte von meinen Lippen - »in die Kirche gehen könnten.«
»Was?«
»Was ist so schlimm daran?«, frage ich.
Marv versucht, seinen Schock zu überwinden. »Warum um alles in der Welt willst du mit uns in die Kirche gehen?«
»Also, ich kenne da einen Priester, und...«
»Das ist doch keiner von diesen ewigen Knierutschern, oder doch?«
»Nein, ist er nicht.«
»Was sind denn Knierutscher?«, fragt Ritchie, aber er bekommt keine Antwort. Eigentlich ist es ihm auch ziemlich egal und er vergisst die Frage.
Der
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