Der Joker
sie es liest. An jenem Tag, als sie mit nackten, blutüberströmten Füßen ihr Rennen lief, habe ich das Gleiche zu ihr gesagt.
»Danke, Ed«, sagt sie. Sie schaut sich die Karte genau an. »So eine Weihnachtskarte habe ich noch nie bekommen.«
»Weihnachtsmänner und Tannenbäume waren ausverkauft«, antworte ich.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, diese Karten an Menschen zu verteilen, die nie begreifen werden, was sie bedeuten. Einige wissen nicht einmal, wer zum Teufel dieser Ed ist. Doch ich sage mir, dass es keine Rolle spielt, und verabschiede mich von Sophie.
»Ed?«, sagt sie.
Ich sitze schon im Taxi und kurbele das Seitenfenster runter. »Sophie?«
»Könntest du...« Höflich gleitet die Stimme aus ihrem Mund. »... könntest du mir bitte sagen, was ich dir schenken kann? Du hast mir so viel gegeben.«
»Ich habe dir nichts gegeben«, sage ich zu ihr.
Aber sie kennt mich gut.
Nichts - das war ein leerer Schuhkarton, aber weder sie noch ich würden diesen Karton gegen irgendetwas anderes eintauschen.
Das wissen wir beide.
Das Lenkrad ist warm und ich fahre davon.
Die letzte Karte liefere ich bei Vater O’Reilly ab, der anscheinend gerade eine Party für all die hoffnungslosen Fälle seiner Straße gibt. Die Typen, die versucht haben, mir meine Jacke abspenstig zu machen, mein inexistentes Geld und meine ebenso nicht vorhandenen Zigaretten, sind auch da. Sie essen Hotdogs mit viel Soße und Zwiebeln.
»He, schaut mal!«, ruft einer von ihnen, Joe, glaube ich. »Da ist Ed!« Er versucht, den Priester im Gewühl ausfindig
zu machen. »He, Vater!«, ruft er und spuckt dabei die Hälfte seines Hotdogs aus. »Ed ist da!«
Vater O’Reilly kommt zu mir gelaufen und sagt: »Tatsächlich, hier ist er - der Mann, der dafür gesorgt hat, dass das Jahr anders endet, als es angefangen hat. Ich habe versucht, dich anzurufen.«
»Ich war ziemlich beschäftigt, Vater.«
»Ah, ja«, nickt er. »Deine Mission.« Er zieht mich beiseite und sagt: »Hör zu, ich wollte dir nur noch einmal danken, Ed.«
Ich weiß, dass ich mich eigentlich gut fühlen sollte, aber ich tue es nicht. »Ich bin nicht hier, damit Sie sich bei mir bedanken können, Vater. Ich wollte Ihnen nur eine armselige Weihnachtskarte bringen.«
»Vielen Dank dafür, Junge.«
Aus irgendeinem Grund bin ich frustriert wegen der letzten Karte.
Herz, ausgerechnet Herz muss die letzte Farbe sein.
Ich hatte Pik erwartet.
Aber ich habe Herz bekommen, und irgendwie fühlt es sich an, als wäre dies die gefährlichste Farbe von allen.
Menschen sterben an gebrochenem Herzen. Sie bekommen Herzinfarkte. Und es ist das Herz, das am meisten wehtut, wenn etwas schief geht und auseinander fällt.
Als ich wieder aus dem Haus hinaus auf die Straße gehe, spürt der Priester meine Unruhe. Er sagt: »Es ist immer noch nicht vorbei, oder?« Er weiß, dass er nur ein Teil dessen war, was ich zu tun habe. Eine einzelne Botschaft in dem Blatt, das mir ausgeteilt wurde.
»Nein, Vater«, erwidere ich. »Es ist nicht vorbei.«
»Du wirst das schon hinkriegen«, sagt er zu mir.
»Nein«, sage ich zu ihm. »Ich will es nicht einfach hinkriegen. Ich will mehr.«
Es stimmt.
Ich will es gut machen, ich will, dass es mir gut geht, und das muss ich mir verdienen.
Die Karte steckt immer noch in meiner Tasche. Ich wünsche dem Priester Frohe Weihnachten und gehe in den Abend davon. Ich spüre, wie das Herz-Ass in meiner Brusttasche schwankt. Es neigt sich vorwärts, der Luft und der Welt entgegen, der ich mich stellen muss.
»Wohin?«, frage ich am nächsten Tag meinen ersten Kunden, aber ich kann die Antwort nicht hören. Alles, was ich höre, sind wieder der Klang der Herzen, das Brüllen, Schreien und Schlagen in meinen Ohren.
Schneller.
Schneller.
Kein Motorengeräusch.
Kein Ticken des Blinkers, keine Stimme meines Fahrgastes. Kein Rauschen des Verkehrs. Nur Herzen.
In meiner Tasche.
In meinen Ohren.
In meiner Hose.
Auf meiner Haut. Auf meinem Atem.
Sie sind das Innere meines Inneren.
»Nur Herzen«, sage ich, »überall Herzen.« Mein Fahrgast, eine etwa vierzigjährige Frau, hat keine Ahnung, wovon ich rede.
»Sie können mich hier rauslassen«, sagt sie.
Sie hat ein Deodorant aufgelegt, das nach süßem Rauch
riecht, und Make-up in den Farben der Rosen. Sie reicht mir das Geld und spricht zu mir, während sie mich im Rückspiegel betrachtet.
»Frohe Weihnachten«, sagt sie.
Ihre Stimme hört sich an wie die
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