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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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Seine Stimme wird freundlich, höhnisch. »Und das wollen wir doch nicht, oder? Der Weihnachtsmann wäre davon ganz bestimmt nicht begeistert, nicht wahr? Nein, ganz sicher nicht.«
    Marv, Ritchie und ich amüsieren uns königlich.
    »Aaah«, seufzt Ritchie zufrieden. »Das ist der wahre Geist der Weihnacht.«
    So etwas haben wir alle von unseren Vätern zu hören bekommen. Mindestens einmal im Leben.
    Ich denke an meinen Vater, tot und begraben. Mein erstes Weihnachten ohne ihn.
    »Frohe Weihnachten, Dad«, sage ich und schaue vom Feuer weg.
    Die Eiskrem schmilzt mir auf die Finger.
     
     
    Während die Nacht voranschreitet und langsam in den Weihnachtsmorgen übergeht, werden Marv, Ritchie und ich getrennt. Es sind viele Leute unterwegs, und nachdem wir uns verloren haben, ist alles vorbei.

    Ich gehe durch die Stadt zurück und besuche das Grab meines Vaters. Ich bleibe ziemlich lange. Vom Friedhof aus kann ich einen schwachen Schein erkennen - das Feuer - und ich sitze da und schaue den Grabstein mit dem Namen meines Vaters an.
    Bei seiner Beerdigung habe ich geweint.
    Schweigend ließ ich die Tränen auf meinem Gesicht herumtrampeln, fühlte mich schuldig, weil ich nicht den Mut aufbrachte, über ihn zu reden. Ich wusste, dass jeder nur einen Gedanken hatte, was für ein Säufer er gewesen war, während ich mich an all die anderen Dinge erinnerte.
    »Er war ein Gentleman«, flüstere ich jetzt.
    Wenn ich das bloß damals hätte sagen können , denke ich. Mein Vater hat niemals über irgendjemanden schlecht geredet, hat niemals jemandem etwas wirklich Schlimmes angetan. Sicher, er hat nicht viel erreicht in seinem Leben, und er hat meine Mutter enttäuscht, aber ich glaube nicht, dass er es verdient hat, dass am Tag seiner Beerdigung keiner seiner Familie ein Wort über ihn sagte.
    »Es tut mir Leid«, sage ich, als ich aufstehe und mich zum Gehen wende, »es tut mir so Leid, Dad.«
    Ich gehe weg. Voller Angst.
    Voller Angst, weil ich nicht will, dass mein eigenes Begräbnis auch mal so erbärmlich und desolat wird.
    Ich will Worte.
    Aber ich nehme an, das bedeutet, dass man Leben in seinem Leben haben muss.
    Ich gehe.
     
     
    Ich gehe einfach.

    Als ich nach Hause komme, liegt Marv schlafend auf dem Rücksitz seines Autos, und Ritchie hockt auf meiner Veranda. Seine Beine sind ausgestreckt und er hat sich gegen die Wand gelehnt. Bei näherer Betrachtung merke ich, dass auch Ritchie schläft. Ich zupfe ihn am Ärmel.
    »Ritchie«, flüstere ich, »wach auf.«
    Seine Augenlider klappen hoch.
    »Was?«, fragt er mit Panik in der Stimme. »Was ist?«
    »Du sitzt auf meiner Veranda und pennst«, sage ich zu ihm. »Du solltest heimgehen.«
    Er schüttelt sich selbst wach, schaut auf die Mondsichel und sagt: »Ich habe meine Schlüssel auf deinem Küchentisch liegen gelassen.«
    »Komm rein.« Ich strecke meine Hand aus. Er nimmt sie und ich helfe ihm auf.
    Drinnen sehe ich, dass es kurz nach drei ist.
    Ritchies Finger schließen sich um den Schlüsselbund.
    »Willst du irgendwas?«, frage ich. »Einen Drink, was zu essen oder Kaffee?«
    »Nein, danke.«
    Aber trotzdem geht er nicht.
    Einen Moment lang stehen wir unbehaglich da, bis Ritchie an mir vorbeischaut und sagt: »Irgendwie habe ich keine Lust, nach Hause zu gehen, Ed.«
    Ich erhasche einen Hauch von Traurigkeit in seinen Augen, aber sie verschwindet sofort wieder, als Ritchie mit der Hand darüber fährt. Jetzt schaut er die Schlüssel an. Ich frage mich, was hinter diesem kühlen, ruhigen Äußeren meines Freundes lauert. Ich frage mich müde, was jemanden, der so gelassen ist wie Ritchie, aus der Ruhe bringen könnte.

    Seine Augen schieben sich wieder in die Höhe, zu meinen.
    »Klar«, sage ich zu ihm. »Bleib ruhig hier.«
    Ritchie setzt sich an den Tisch.
    »Danke, Ed«, sagt er. »Hallo, Türsteher.«
    Der Türsteher kommt gerade zur Küchentür herein und ich gehe raus und schaue nach Marv.
    Einen Moment lang überlege ich, ob ich ihn einfach da im Auto liegen lassen soll, aber der Geist der Weihnacht erreicht sogar einen Kerl wie mich.
    Ich will an die Fensterscheibe klopfen, aber meine Hand schießt ungehindert hindurch.
    Natürlich.
    Da ist gar keine Fensterscheibe.
    Marv hat sie immer noch nicht reparieren lassen. Ich glaube, er hat sich einen Kostenvoranschlag machen lassen, aber der Typ in der Werkstatt meinte, die Reparatur würde mehr kosten, als der ganze Wagen wert ist.
    Er schläft, den Kopf verdreht in den Händen liegend, und die Mücken

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