Der Joker
verkündet er, »du wirst diesen Hund küssen.« Er deutet auf den Türsteher. »Und wenn du ihn küsst, tust du es bitte mit Freude und Genuss. Du wirst ihn mit einem Lächeln auf dem Gesicht küssen, ansonsten musst du ihn noch mal küssen und noch mal und noch mal...«
»Schon gut!«, knurrt Marv. Er erinnert mich an ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt. »Auf den Hinterkopf, okay?«
»Oh nein«, wiegelt Ritchie ab. Er steht auf und kostet jede Sekunde von Marvs Dilemma aus. »Ich glaube, die Abmachung lautet, dass du ihn direkt auf die Lippen küsst und...« - er deutet mit dem Finger auf Marv - »genau dorthin wirst du ihn auch küssen.«
Der Türsteher schaut auf.
Er fühlt sich unbehaglich, weil wir ihn alle anstarren.
»Du armer Kerl«, sagt Ritchie.
Marv schmollt. »Genau.«
»Nicht du«, spottet Ritchie. »Er!« Mit dem Kopf nickt er in Richtung des Türstehers.
»Also gut«, sagt Audrey. »Jetzt hört auf mit dem Gequatsche.« Sie reicht mir meinen Fotoapparat. »Los jetzt, Marv! Er gehört dir.«
Mit aller Welten Last auf den Schultern beugt sich Marv nach unten. Auf seinem Gesicht liegt der blanke Horror, und er schafft es schließlich, sich dem Gesicht des Türstehers zu nähern. Der Türsteher wirkt nervös, fast Mitleid erregend
- ein schwarzgoldener Fellhaufen mit wässrigen Augen.
»Muss er seine Zunge so rausstrecken?«, fragt mich Marv.
»Er ist ein Hund«, sage ich. »Was willst du eigentlich?«
Reichlich verstimmt bringt es Marv schließlich hinter sich. Er beugt sich vor und küsst den Türsteher auf die Schnauze, gerade lange genug, damit ich ein Foto machen und Ritchie und Audrey anfangen können, zu klatschen und zu johlen und sich halb tot zu lachen.
»War doch gar nicht so schlimm, oder?«, sagt Ritchie. Marv verschwindet ohne Umwege ins Badezimmer.
Der arme Türsteher.
Ich gebe ihm auch einen Kuss, auf die Stirn, und ein saftiges Stück Truthahn.
Danke, Ed , lächelt er.
Der Türsteher hat ein nettes Lächeln.
Es gelingt uns, Marv etwas aufzuheitern, und schließlich amüsiert er sich richtig, obwohl er sich den ganzen Abend lang darüber beschwert, dass er den Türsteher immer noch auf seinen Lippen schmecken kann.
Wir alle essen und trinken und spielen Karten, bis ein Klopfen an der Haustür Audreys Freund ankündigt. Er trinkt ein Glas mit uns und isst ein paar Garnelen. Er ist ein netter Kerl, beschließe ich, aber ich merke ganz genau, dass Audrey ihn nicht liebt.
Und das ist der springende Punkt, finde ich.
Nachdem Audrey gegangen ist, versuchen wir, keine Trübsal zu blasen. Ritchie, Marv und ich essen unsere Teller leer
und gehen spazieren. Am Ende der Main Street brennt ein Freudenfeuer und dorthin zieht es uns.
Eine Weile fällt es uns schwer, gerade zu laufen, aber bis wir dort angekommen sind, sind wir wieder einigermaßen nüchtern.
Es ist eine gute Nacht.
Menschen tanzen.
Reden laut.
Ein paar Leute prügeln sich.
So ist es immer an Weihnachten. Die Anspannung des ganzen Jahres entlädt sich an diesem Abend.
In der Nähe des Feuers sehe ich Angie Carusso und ihre Kinder. Besser gesagt: Sie kommen zu mir.
Etwas klopft gegen mein Bein, und als ich hinabschaue, sehe ich einen der Söhne. Derjenige, der immer heult.
»He, Mister«, sagt er.
Ich drehe mich um und da steht Angie Carusso mit einer Tüte Eis. Sie streckt sie mir entgegen und sagt: »Fröhliche Weihnachten, Ed.« Ich nehme das Eis.
»Danke«, sage ich. »Genau das brauche ich jetzt.«
»Manchmal brauchen wir das alle.« Ihre Freude über die Tatsache, dass sie meinen kleinen Gefallen erwidern konnte, ist offensichtlich.
Ich schlecke ein wenig und frage: »Wie geht es Ihnen, Angie?«
»Ach...« Sie schaut die Kinder an und dann wieder mich. »Ich komm über die Runden, Ed. Manchmal ist das genug.« Ihr fällt etwas ein. »Übrigens, danke für die Karte!« Langsam entfernt sich Angie mit den Kindern.
»Gern geschehen!«, rufe ich ihr nach. »Einen schönen Abend!«
»Lassen Sie sich das Eis schmecken«, antwortet sie. Sie geht am Feuer entlang.
»Wer war das denn?«, wollte Marv wissen.
»Nur jemand, den ich kenne.«
Mir hat noch nie jemand an Weihnachten ein Eis geschenkt.
Ich betrachte das Feuer und verteile die süße Kühle auf meinen Lippen.
Hinter mir höre ich einen Vater mit seinem Sohn reden.
»Wenn du das noch einmal machst«, sagt der Vater, »dann kriegst du von mir einen Tritt in den Arsch, dass du direkt im Feuer landest.«
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