Der Judas-Code: Roman
Claudio?«
»Selbstverständlich, prefetto.«
Als sein Assistent hinter dem Plastikvorhang verschwunden war, wandte Vigor seine Aufmerksamkeit wieder seinem ehemaligen Kollegen zu. »Balthazar, was gibt es so Dringendes?«
»Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen.«
Als er Balthazar zur anderen Seite des Turmzimmers folgte, bemerkte er, dass die Restaurierungsarbeiten beinahe abgeschlossen waren. Nicolò Circignanis berühmte Wand- und Deckenfresken stellten biblische Szenen dar. An der Decke waren Engel und Wolken
abgebildet. Einige Stellen, an denen noch gearbeitet wurde, waren mit Seidenpapier abgedeckt. Die meisten Bilder aber waren bereits wiederhergestellt. Auch der in den Marmorboden eingelassene Tierkreis war gesäubert worden und auf Hochglanz poliert. Durch ein Wandloch von der Größe eines Vierteldollars fiel ein Lichtstrahl auf die weiße Meridianlinie, die sich über den dunklen Boden zog, und verwandelte den Saal in ein Sonnenobservatorium des sechzehnten Jahrhunderts.
Balthazar teilte einen Wandbehang, hinter dem sich eine kleine Kammer befand. Die Originaltür war verkohlt, aber anscheinend noch intakt.
Der hünenhafte Historiker tippte auf einen der Bronzezapfen in der dicken Holztür. »Wir haben festgestellt, dass die Tür einen Bronzekern besitzt. Zum Glück. Deshalb wurde der Inhalt des Raums vom Feuer verschont.«
Vigor fühlte sich beklommen, doch seine Neugier war geweckt. »Was befand sich darin?«
Balthazar zog die Tür auf. Dahinter war ein vollgestopfter, fensterloser Raum mit Steinwänden, der kaum Platz für zwei Personen bot. An den Seiten standen zwei wandhohe Regale voller ledergebundener Bücher. Trotz des Geruchs nach frischer Farbe roch es muffig, ein Beleg für die Hartnäckigkeit, mit der das Alter menschlichem Bemühen trotzt.
»Der Bestand wurde inventarisiert, als wir hier die Leitung übernommen und aufgeräumt haben«, erklärte Balthazar. »Allerdings wurde nichts Bedeutsames entdeckt. Die meisten dieser zerfallenden Schriften behandeln astronomische und nautische Themen.« Mit einem vernehmlichen Seufzer trat er in die Kammer. »Ich glaube, ich hätte vorsichtiger sein sollen, denn schließlich halten sich hier den ganzen Tag über Arbeiter auf. Aber ich habe mich auf den Meridian-Saal konzentriert. Nachts hatten wir hier zur Bewachung einen Schweizergardisten postiert. Ich dachte, das würde ausreichen.«
Vigor folgte dem großen Mann in die Kammer.
»Außerdem wurden hier drinnen einige Werkzeuge aufbewahrt.« Balthazar deutete auf das unterste Fach des einen Regals. »Damit niemand drüberstolpert.«
Vigor schüttelte den Kopf. Von der Hitze und seinem schweren Herzen wurde ihm allmählich schwummerig. »Ich verstehe nicht. Weshalb haben Sie mich hergerufen?«
Eine Art Grollen kam aus der Brust des Mannes. »Vor einer Woche«, sagte er, »hat einer der Aufpasser jemanden verscheucht, der herumschnüffeln wollte.« Er schwenkte die Hand. »Hier drinnen.«
»Warum wurde ich nicht informiert?«, fragte Vigor. »Wurde etwas entwendet?«
»Nein, das war schon alles. Sie waren gerade in Mailand, und der Wachposten hat den Fremden verscheucht. Ich nahm an, es habe sich um einen ganz gewöhnlichen Dieb gehandelt, der sich das Durcheinander zunutze machen wollte. Hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Nach dem Vorfall habe ich für alle Fälle einen zweiten Wachposten hierherbeordert.«
Vigor bedeutete ihm, er solle fortfahren.
»Heute Morgen wollte einer der Restauratoren eine Lampe in der Kammer ablegen. Bei seinem Eintreten war sie noch eingeschaltet.«
Balthazar langte hinter Vigor und zog die Tür zu, sodass von außen kein Licht mehr hereinfiel. Dann schaltete er eine kleine Handlampe ein. Der Raum wurde von purpurfarbenem Licht überflutet, sein weißer Overall leuchtete auf. »Bei den Restaurierungsarbeiten werden auch UV-Lampen eingesetzt. Damit kann man so manche Details sichtbar machen, die dem bloßen Auge entgehen.«
Balthazar zeigte auf den Marmorboden.
Vigor hatte den Blick bereits gesenkt. In der Mitte des Raums war eine primitive Zeichnung zu erkennen.
Ein zusammengerollter Drache, der beinahe auf dem Schwanz stand.
Vigor stockte der Atem. Vor ungläubigem Entsetzen stolperte er einen Schritt zurück. Schreie gellten ihm in den Ohren.
Balthazar legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung? Vielleicht hätte ich Sie darauf vorbereiten sollen.«
Vigor schüttelte seine Hand ab. »Es... es geht schon.«
Er ging in
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