Der Judas-Code: Roman
jemand mit schwachem Akzent auf Italienisch an.
»Die Nachricht war von mir, Signor Gallo.«
Eine schlanke Gestalt trat auf den Gang, in der Hand eine kleine Taschenlampe. Obwohl sie die Lampe gesenkt hielt, war ihr Gesicht nur undeutlich zu erkennen. Sie trug eine hautenge schwarze Ledermontur, die ihre Hüften und die Brüste betonte, und hatte sich wie ein Beduine ein Tuch um den Kopf geschlungen. Ihre Augen funkelten. Ihre gelassenen, anmutigen Bewegungen trugen dazu bei, dass sein Herzklopfen nachließ.
Wie eine schwarze Madonna trat sie aus der Dunkelheit hervor.
»Haben Sie das Objekt mitgebracht?«, fragte sie.
»Ich... ja, hab ich«, stammelte er und ging einen Schritt auf sie zu. Er streckte ihr den Obelisken entgegen und schlug das Sackleinen zurück. »Ich will nichts mehr damit zu tun haben. Sie haben mir geschrieben, Sie würden ihn an einen sicheren Ort bringen.«
»Das werde ich.« Sie zeigte auf den Boden.
Er bückte sich und setzte die ägyptische Steinsäule ab, froh darüber, sie endlich los zu sein. Der schwarze Marmorobelisk war vierzig Zentimeter lang. Die quadratische Basis hatte eine Kantenlänge von zehn Zentimetern und verjüngte sich zu einer pyramidenförmigen Spitze.
Die Frau ging vor Stefano in die Hocke und balancierte auf den Spitzen ihrer schwarzen Stiefel. Mit der Hand streifte sie über die dunkle Oberfläche des Obelisken. Der Marmor wies zahlreiche Kerben auf; das Artefakt war schlecht erhalten. Ein langer Riss war zu erkennen. Es war kein Wunder, dass ihm niemand Beachtung geschenkt hatte.
Trotzdem war deswegen Blut vergossen worden.
Und er kannte den Grund.
Die Frau drückte Stefanos Stiftlampe nach unten. Mit dem Daumen verstellte sie die Taschenlampe. Das weiße Licht nahm einen tiefen Purpurton an. Auf seiner Hose war auf einmal das kleinste Stäubchen zu erkennen. Die weißen Streifen seines Hemds leuchteten.
Ultraviolett.
Der Lichtstrahl umfloss den Obelisken.
Um die Behauptungen der Frau zu überprüfen, hatte Stefano ihn bereits auf die gleiche Weise untersucht und das Wunder mit eigenen Augen gesehen. Er beugte sich weiter vor und betrachtete alle vier Seiten des Obelisken.
Die Oberfläche war nicht mehr schwarz. An allen vier Seiten waren bläulich weiße Schriftzeichen zu erkennen.
Es waren keine Hieroglyphen. Diese Sprache war noch älter.
Stefano senkte ehrfürchtig die Stimme. »Ist das vielleicht die Schrift, die...«
Von der Treppe war ein Flüstern zu vernehmen. Ein paar Steinchen kullerten die Stufen hinunter.
Voller Angst drehte er sich um. Das Blut gefror ihm in den Adern.
Den ruhigen, energischen Tonfall des Sprechers kannte er.
Der Ägypter.
Er hatte sie gefunden.
Die Frau schaltete die Taschenlampe aus. Das ultraviolette Licht erlosch. Auf einmal war es stockdunkel.
Stefano hob die Stiftlampe, denn er wollte das Gesicht der schwarzen Madonna sehen. Stattdessen erblickte er in ihrer Linken eine schwarze Pistole mit Schalldämpfer, die auf sein Gesicht zielte. Auf einmal wurde ihm alles klar. Er war hereingelegt worden.
» Grazie, Stefano.«
Die tödliche Stille zwischen dem scharfen Husten und dem Aufleuchten des Mündungsfeuers füllte ein einziger Gedanke aus.
Maria, verzeih mir .
3. Juli, 13:16
Vatikanstadt
Monsignor Vigor Verona stieg voller Widerwillen die Treppe hoch. Erinnerungen an Flammen und Rauch setzten ihm zu. Für
diesen langen Aufstieg war ihm das Herz zu schwer. Er fühlte sich mindestens zehn Jahre älter als sechzig. Auf dem Absatz blieb er stehen, blickte nach oben und fasste sich ins Kreuz.
Der kreisförmige Treppenschacht wurde ausgefüllt von einem Durcheinander von Gerüsten, an denen Laufgänge entlangführten. Obwohl er wusste, dass es Pech brachte, duckte er sich unter einer Malerleiter hindurch und stieg weiter die dunkle Treppe hoch, die zum Torre dei Venti hinaufführte, dem Turm der Winde.
Von den Farbdämpfen tränten ihm die Augen. Doch er nahm auch noch andere Gerüche wahr, Phantome aus der Vergangenheit, an die er nicht erinnert werden wollte.
Verkohltes Fleisch, beißender Qualm, glühende Asche.
Vor zwei Jahren hatte eine Explosion den mitten im Vatikan gelegenen Turm in eine lodernde Fackel verwandelt. Nach gründlichen Instandsetzungsarbeiten aber gewann er nun allmählich seine alte Schönheit zurück. Vigor freute sich auf den kommenden Monat, denn dann sollte der Turm wiederöffnet werden, und seine Heiligkeit der Papst würde persönlich das Seidenband durchschneiden.
Vor allem
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