Der Judas-Code: Roman
Verlobten nach Persien geleiten sollte. Für diese große Unternehmung stellte der Khan vierzehn große Dschunken und über sechshundert Männer zur Verfügung. Als sie jedoch in Persien eintrafen, hatten nur zwei Schiffe und ganze achtzehn Männer die Reise überstanden.«
»Wie ist es den anderen ergangen?«, brummte Kowalski.
»Das hat Marco Polo für sich behalten. Der französische Schriftsteller Rustichello deutet im Vorwort des berühmten Buches an, bei den südasiatischen Inseln habe sich eine Tragödie ereignet. Einzelheiten nennt er jedoch nicht. Noch auf dem Totenbett weigerte sich Marco Polo, darüber zu sprechen.«
»Und das ist verbürgt?«, fragte Gray.
»Dieses Geheimnis wurde nie gelüftet«, antwortete Vigor. »Die meisten Historiker nahmen an, dass die Leute entweder einer Krankheit erlegen sind oder von Piraten getötet wurden. Sicher ist nur, dass Marcos Schiffe sich fünf Monate lang bei den indonesischen Inseln aufgehalten haben und dass anschließend nur noch ein kleiner Rest der ursprünglichen Flotte intakt war.«
»Aber welchen Grund gab es, ein solch dramatisches Ereignis unerwähnt zu lassen?«, hakte Seichan nach. »Weshalb hat er das Geheimnis mit ins Grab genommen?«
Gray wusste darauf keine Antwort. Die Ungewissheit hatte bei ihm jedoch quälende Sorge zur Folge. Er straffte sich ein wenig. Er hatte bereits eine Ahnung, worauf das hinauslaufen mochte.
Vigors Miene hatte sich ebenfalls verdüstert. »Sie wissen, was auf diesen Inseln geschehen ist, nicht wahr?«
Seichan neigte bestätigend den Kopf. »Die erste Ausgabe von Marco Polos Buch war auf Französisch verfasst. Zu Marcos Lebzeiten gab es jedoch Bestrebungen, Bücher auch auf Italienisch herauszugeben. Dafür setzte sich maßgeblich ein berühmter Zeitgenosse Marco Polos ein.«
»Dante Alighieri«, sagte Vigor.
Gray blickte den Monsignore an.
»Dantes Göttliche Komödie einschließlich des berühmten Inferno «, erklärte Vigor, »war das erste auf Italienisch verfasste Buch. Selbst die Franzosen gaben dem Italienischen den Spitznamen die Sprache Dantes. «
Seichan nickte. »Diese Revolution ging auch an Marco nicht spurlos vorüber. Historischen Dokumenten zufolge ließ er eine französische Ausgabe seines Buchs in seine Muttersprache übersetzen, um seinen Landsleuten den Zugang zu erleichtern. Bei dieser Gelegenheit ließ er auch eine geheime Kopie für sich selbst anfertigen. In diesem Buch berichtete er, was mit der Flotte des Khans geschehen ist. Er enthüllte das Geheimnis.«
»Ausgeschlossen«, murmelte Vigor. »Wie wäre zu erklären, dass niemand von diesem Buch weiß? Wo wurde es die ganze Zeit über aufbewahrt?«
»Zunächst auf dem Familiensitz der Polos. Zuletzt an einem besonders sicheren Ort.« Seichan musterte Vigor herausfordernd.
»Sie meinen doch nicht etwa...?«
»Die Polos sind auf Befehl Papst Gregors in den Fernen Osten gereist. Manche Forscher vertreten die Ansicht, Marcos Vater und sein Onkel seien die ersten vatikanischen Spione gewesen und hätten den Auftrag gehabt, als Doppelagenten die mongolischen Streitkräfte auszuspionieren. Dann wären sie die eigentlichen Begründer der Institution, der auch Sie einmal angehört haben, Monsignor Verona.«
Vigor ließ sich zurücksinken und hing einen Moment seinen Gedanken nach. »Das geheime Tagebuch wurde im Vatikanischen Archiv entdeckt«, murmelte er schließlich.
»Dort blieb es Jahrhunderte lang unbeachtet. Offiziell galt es als weitere Ausgabe von Marco Polos Buch. Man musste schon genau hinsehen, um zu bemerken, dass gegen Ende des Buchs ein Kapitel eingeschoben war.«
»Die Gilde ist im Besitz dieser Fassung?«, fragte Gray. »Und hat etwas Bedeutsames in Erfahrung gebracht?«
Seichan nickte.
Gray zog die Stirn kraus. »Aber wie hat die Gilde diesen geheimen Text in ihren Besitz gebracht?«
Seichan nahm die Sonnenbrille ab und sah ihm vorwurfsvoll in die Augen. »Sie selbst haben es ihr überlassen, Gray.«
07:18
Vigor sah das Entsetzen im Gesicht des Commanders.
»Was zum Teufel reden Sie da?«, sagte Gray.
Vigor entging auch nicht die in den smaragdgrünen Augen der Gildenagentin aufblitzende Genugtuung. Offenbar bereitete es ihr Vergnügen, ihn zu verspotten. Gleichwohl wirkte ihr Gesicht hager und bleich. Sie hatte Angst.
»Wir sind alle mit schuld daran«, sagte Seichan und nickte zu Vigor hin.
Vigor hielt seine Emotionen im Zaum, denn er wollte bei diesem Spielchen nicht mitmachen. Er war schon zu alt, um sich so
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