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Der Judas-Code: Roman

Titel: Der Judas-Code: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins , Norbert Stöbe
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treffen.
     
    Vigor kannte die altertümliche Diktion und den steifen Stil von Die Beschreibung der Welt her. War dieser Text wirklich von Marco Polo verfasst worden? Wenn ja, dann hatte ihn nur eine Handvoll Menschen zu Gesicht bekommen. Vigor hätte das Original vorgezogen, denn er misstraute der Übersetzung - vor allem aber hätte er sich dem berühmten mittelalterlichen Weltreisenden näher gefühlt, wenn ihm der Urtext vorgelegen hätte.
    Er las weiter:
     
    An einer Flussbiegung tat einer der Männer des Kaans einen Ausruf und zeigte auf eine steile Erhebung, die vom Talboden aufragte. Sie lag mehrere Meilen entfernt im Inselinneren, inmitten undurchdringlichen Dschungels; doch es war kein Berg. Es war die Spitze eines großen Bauwerks; und dann machten wir noch weitere Türme aus, halb im Nebel verborgen. Da wir zehn Tage für die Instandsetzungsarbeiten veranschlagt hatten und die Männer des Kaans Vögel und andere Tiere jagen wollten, beschlossen wir, die Erbauer dieser Berge aus Stein, Vertreter eines unbekannten, auf keiner Landkarte verzeichneten Volkes, aufzusuchen.
     
    Schon nach der ersten Seite spürte Vigor die greifbare Bedrohung, die von Marcos schlichter Erzählung ausging. Mit nüchternen Worten berichtete er, dass »Vögel und Tiere verstummten«. Marco und seine Jäger marschierten weiter und folgten einem Dschungelpfad, »angelegt von den Erbauern der Steingebirge«.
    Schließlich gelangte Marco mit seinen Begleitern bei Einbruch der Dämmerung zu einer aus Stein erbauten Stadt.
     
    Die Bäume traten auseinander, und wir erblickten eine große Stadt mit zahlreichen Türmen, ein jeder verziert mit Götzenbildern. Welch teuflische Zauberei hier praktiziert wurde, sollte ich
nie herausfinden, denn Gott der Barmherzige hatte an Stadt und Wald gerechte Rache geübt und sie mit Tod und Verderben gestraft. Die erste Leiche war ein nacktes Mädchen. Sie war mit schwarzen Ameisen bedeckt, das Fleisch bis auf die Knochen abgefressen. Wohin wir auch blickten, überall lagen Tote herum. Spräche ich von mehreren hundert Toten, würde dies dem Ausmaß des Gemetzels kaum gerecht werden; Außerdem hatte der Tod nicht nur die sündigen Menschen ereilt. Vögel waren tot vom Himmel gefallen. Die Tiere des Waldes lagen am Boden. Riesenschlangen hingen reglos von den Ästen.
    Dies war eine Totenstadt. Da wir uns vor der Pestilenz fürchteten, brachen wir in großer Eile auf. Allerdings waren wir nicht unbemerkt geblieben. Sie kamen aus der Tiefe des Waldes: Ihre nackten Leiber waren nicht minder krank als die der Toten, die auf den Steintreppen und Plätzen herumlagen oder in den grünen Wallgräben trieben. An ihren Gliedmaßen trat das nackte Fleisch zutage. Einige hatten schwärende Beulen und Geschwüre, die meisten aufgedunsene Bäuche. Die Wunden nässten und stanken abscheulich. Einige waren blind; andere krochen über den Boden. Es war, als hätten tausend Plagen, eine ganze Legion von Seuchen, dieses Land heimgesucht.
    Mit gebleckten Zähnen schwärmten sie wie wilde Tiere aus dem schattigen Dickicht hervor. Einige schleppten abgetrennte Arme und Beine mit. Gott möge uns schützen; manche Gliedmaßen waren angenagt.
     
    Trotz der rasch zunehmenden Hitze lief Vigor ein kalter Schauder über den Rücken. Wie betäubt las er, wie Marco mit seinen Begleitern in die Stadt hinein geflohen war, um sich vor den Angreifern in Sicherheit zu bringen. Der Venezianer schilderte ausführlich das Wüten und den Kannibalismus der Inselbewohner. Als es dunkel wurde, zog sich Marco in eines der großen Bauwerke zurück, das verziert war mit in Stein gemeißelten Schlangen und langköpfigen Königen. Sie wollten sich verteidigen bis zum letzten Mann, denn sie glaubten, ihre kleine Gruppe würde von den in Scharen in die Stadt strömenden Kannibalen schon bald überwältigt werden.

    Gray murmelte etwas Unverständliches, doch seine Skepsis war ihm deutlich anzumerken.
     
    Jetzt, da die Sonne untergegangen war, hatten wir alle Hoffnung fahren lassen. Jeder betete auf seine Weise zu Gott. Die Männer des Kaans zündeten Holz an und beschmierten sich die Gesichter mit Asche. Ich fand allein bei meinem Beichtvater Beistand. Pater Agreer kniete neben mir nieder und betete zu Gott, er möge unsere Seelen gnädig bei sich aufnehmen. Er hielt das Kruzifix in der Hand und malte mir das Kreuz Christi auf die Stirn. Er benutzte die gleiche Asche wie die Männer des Kaans. Wie ich deren wild bemalte Gesichter betrachtete,

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