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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Körner stockte. Das Eisengestell, welches er bereits auf dem Foto gesehen hatte, stand wie ein Gerippe an der Wand. In dem Gerät befand sich tatsächlich eine eingeschweißte Sitzbank. Auf den ersten Blick sah es wie das Trainingsgerät eines Fitnessstudios aus, doch mit den Seilen, Flaschenzügen und Lederriemen wirkte die Konstruktion befremdend und ließ keinen Sinn erkennen. Noch nicht! Die Jungs im Labor würden sich darum kümmern. Neben dem Gestell lag die Leiche auf dem Bauch: ein Mädchen in Jeans, in Bluse und Turnschuhen, Arme und Beine von sich gestreckt. Basedov hatte eine Kreidelinie um den Leichnam gezeichnet. Unschwer ließ sich erkennen, woran sie gestorben war. Jetzt wusste er, weshalb die Wirbelteile auf der gesamten Tanzfläche verstreut lagen. Körner ging in die Hocke und betrachtete die Leiche, die rund zwei Meter von ihm entfernt lag. Philipps Wegmarkierung ließ ihn nicht näher heran, doch diese Distanz reichte vollkommen aus.
    Der Tatort war sauber arrangiert worden, wie für das Ermittlerteam inszeniert, und wirkte, als sei ein Serienkiller am Werk gewesen, der an der Grenze seines Verstandes experimentierte - und der Gefallen an seinem Spiel hatte. Was wollte ihnen der Mörder mit seiner Inszenierung mitteilen? Hallo Leute, das ist mein erstes Opfer. Weitere folgen in Kürze!
    Das Mädchen lag mit dem Gesicht nach unten, als wollte der Mörder vermeiden, seinem Opfer in die Augen zu sehen. Vermutlich kannte er die Tote, war vielleicht benachbart oder sogar mit ihr verwandt. Die Bluse war am Rücken in zwei Hälften zerrissen und hing ihr über die Schultern. Der Anblick ihres Rückens wirkte auf Körner verstörend. Wie oft musste der Killer mit dem Messer in ihren Rücken gehackt haben, um so eine Wunde zu bewirken? Warum war es ausgerechnet so passiert und nicht anders? Warum war der Mord ausgerechnet an dieser Stelle in diesem Lokal passiert und nicht woanders? Warum hatte der Killer von allen Mädchen aus der Umgebung ausgerechnet dieses Opfer ausgewählt und kein anderes? Körner betrachtete ihr blondes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar. Ich finde es heraus, Kleine. Er glaubte nicht an Zufälle. Er war davon überzeugt, dass der Killer genau wusste, was er tat. Nur musste er hinter den Plan des Wahnsinnigen kommen. Er musste das Muster erkennen.
    Das Eisengestell, das wie ein düsteres Omen neben der Leiche emporragte, gab ihm das nächste Rätsel auf. Körner erhob sich aus der Hocke. »Hat sich schon jemand überlegt, wozu dieses Gerät dient?«
    »Ich hab es noch nicht ausprobiert.« Philipp lachte obszön.
    Sein Kommentar war wie immer deplatziert. Vielleicht war Sarkasmus Philipps Art, mit dem Schrecken umzugehen, den sie tagtäglich sahen. Jeder hatte seine Masche: Jana Sabriski ging Tiefseetauchen, Basedov war mit Leib und Seele Familienvater, und Körner selbst konnte abschalten und sich am besten entspannen, wenn er durch den Wienerwald joggte, am Sandsack trainierte oder in der Küche stand und kochte. Am ärmsten waren jene dran, die noch keine Methode gefunden hatten, den Schrecken auf Distanz zu zwingen.
    »Oh, Gott!« Plötzlich stand Berger neben ihm und starrte mit offenem Mund auf die Leiche.
    »Ziemlich schräg«, kommentierte Körner. »Das ist Basedov, unser Fotograf«, fügte er rasch hinzu, um sie abzulenken. Er bemerkte, wie sie mit einem Mal weiß im Gesicht wurde, als erleide sie einen heftigen Migräneanfall. Keine Tausend Fotos konnten jemanden darauf vorbereiten, wie es war, wenn man das Opfer eines wahnsinnigen Mörders tatsächlich vor sich sah. In der Realität war es immer anders. Sie versuchte zu schlucken, aber der Kloß in ihrem Hals saß zu fest. Im Moment würgte sie bestimmt eine grässliche Magensäure hoch. Er kannte das, jedem passierte es beim ersten Mal. Es war nicht nur der Anblick, sondern auch der entsetzliche Geruch und der Geschmack im eigenen Mund, die ihr Übriges dazu beitrugen. Alles zusammen rief unglaubliche Assoziationen hervor. Wie gebannt starrte Berger auf das tote Mädchen und konnte sich nicht losreißen. Er stupste sie an. »Das ist Basedov! Unser Fotograf!«, wiederholte er. »Und das ist Doktor Sonja Berger, sie erarbeitet Täterprofile und verfasst Artikel für psychologische Fachzeitschriften. Sie sind ziemlich gut darin, habe ich Recht?«
    Sie blickte auf. Endlich war der Bann gebrochen. »Guten Morgen. Ja, ich erstelle Profile.« Ihre Stimme war ein heiseres Krächzen. »Vor drei Wochen war ich noch in

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