Der Judas-Schrein
die Wirtin kümmert sich um uns.« Er beobachtete ihre Reaktion, konnte jedoch nichts Auffälliges bemerken. Er fragte sich, ob er schon zu paranoid geworden war.
»Wie kommst du mit dem Fall voran? Hast du den Mörder der kleinen Krajnik schon gefasst?«
»Es gibt viele irreführende Spuren. Die Ermittlungen dauern wohl noch ein paar Tage«, log er.
Sie nickte verständnisvoll. Plötzlich bemühte sie sich um ein Lächeln. »Ich könnte uns mit dem Gaskocher eine Tasse Kaffee brühen.«
»Ausgezeichnet.«
Während sie in den Küchenschubladen zu klappern begann, dachte er nach. Spätestens wenn Maria ins Wohnzimmer ging und Sabriski auf der Couch vorfand, musste er mit der Wahrheit herausrücken. Die Ermittlungen im Fall waren zu Ende, Basedov, Berger und Philipp waren tot, Sabriski und er auf der Flucht. Er glaubte nicht, dass seine Ex in die Verschwörung der Dorfbewohner verwickelt war. Seine einzige Chance lag darin, Maria so wenig wie möglich wissen zu lassen und sie stattdessen nach einem Weg aus dem Ort zu fragen. Alles war gründlich schief gegangen. Er musste nach Wien, um dem Landesgendarmeriekommando die Fakten des Falls vorzulegen. Jemand anders würde sich darum kümmern.
»Maria, gibt es einen Weg über …?«
Sie wandte sich um. »Milch und Zucker?«
Er nickte.
Da fiel ihr Blick auf das Tagebuch. »Hast du da deine Ermittlungen reingeschrieben?«, fragte sie lächelnd.
»Es ist ein Buch über die historischen Ereignisse in Grein«, log er erneut. »Wusstest du, dass es im vorvorigen Jahrhundert einen Dorfpfarrer gab, den die Bewohner ermordet haben?«
»Mit dieser Geschichte wollten mich die Jungs schon vor dreißig Jahren ängstigen. Pater Dorn, richtig?«
»Es ist wahr, es steht hier drin.« Er pochte auf das Buch.
»Wie hast du es gefunden?«
»Ich …« Er stutzte. Es war wieder einmal einer jener Momente, da die Zeit für einen Augenblick still stand. Maria hatte ihn nicht danach gefragt, wo sondern wie er es gefunden hatte. Anscheinend wusste sie, dass das Buch existierte. Genauso wie Martin Goissers Mörder, die sämtliche Aufzeichnungen des Jungen aus der hohlen Wand hinter dem Poster entfernt hatten. »Wie kommst du darauf, dass ich es gefunden habe?«
»Ich bitte dich!« Sie zuckte mit den Achseln. »Irgendwo musst du es ja gefunden haben, Tagebücher liegen schließlich nicht einfach so rum.« Sie wandte sich rasch zur Seite, um nach einem Streichholz für den Gaskocher zu greifen. Trotzdem sah er, wie sie sich auf die Unterlippe biss.
Maria, Maria!, dachte Körner. Du bist eine schlechte Lügnerin. Langsam erhob er sich. »Ich habe nicht erwähnt, dass es ein Tagebuch ist.«
Marias Schultern versteiften sich. Er packte sie am Arm und zerrte sie herum. »Du weißt alles, habe ich Recht? Was haben sie dir gesagt? Solltest du mich so lange in der Wohnung in Sicherheit wiegen, bis du eine Gelegenheit gefunden hast, die anderen zu verständigen?«
»Welche anderen?«, kreischte sie. »Wovon redest du? Du bist verrückt! Lass mich los!«
Er schüttelte sie. »Wer hat mit dir geredet? War es Weber? Weißmann? Die Wirtin oder Friedl, der Gendarm?«
»Niemand.« Sie begann zu schluchzen.
Er lockerte den Griff.
»Du hast dich mit den Dorfbewohnern angelegt, nicht wahr?« Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, ihr Ton wurde bissig.
»Aber du kannst nicht aufhören, du musst trotzdem weiterforschen!«
»Trotzdem’? Trotz was?«, fuhr er sie an. Da ging ihm ein Licht auf. »Der alte Gehrer hat mit dir geredet! Du weißt, dass er mich davor gewarnt hat, weiter in eurer Vergangenheit zu graben. Sie haben Verena, nicht wahr? Sie ist gar nicht bei ihrer Freundin!«
»Ich weiß von nichts.«
Er schlug ihr ins Gesicht. »Hör auf zu lügen! Wo ist sie?«
Maria drehte sich in seinem Griff und hielt plötzlich ein Brotmesser in der Hand. Ohne Warnung stach sie zu. Er wich zur Seite, doch die Klinge fuhr ihm durch den Pullover und riss ihm den Oberarm auf. Noch bevor Körner das warme Blut spürte, holte Maria ein zweites Mal aus. Diesmal riss sie die Klinge über den Kopf und ließ den Arm niedersausen.
Instinktiv wischte Körners Hand über die Arbeitsfläche. Er stieß eine Milchpackung zur Seite, bekam den Gaskocher zu fassen und schlug zu - einmal, zweimal, ein drittes Mal. Maria taumelte zurück, das Messer fiel ihr aus der Hand, dann stürzte sie rücklings zu Boden. Ihr Kopf krachte gegen die Scheibe des Elektroherds, wo er eine dunkle Spur auf dem Glas
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