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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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zurückversetzt in die Tagebuchschilderungen aus dem Jahr 1864.
    »Spielen Sie mir nichts vor, Sie wissen es!«, fuhr ihn Weißmann an. »Wie sind Sie dahinter gekommen? Wie viel wissen die Behörden bereits darüber?« Körner starrte ihn nur an.
    »Wie Sie wollen.« Weißmann nickte nachdrücklich. »Sie werden jetzt gleich erleben, was Ihnen vor beinahe dreißig Jahren entgangen ist. Vielleicht bringt Sie das zum Reden.« Er klappte die Falttür auf. »Wolfgang! Es ist soweit!«
    »Wolfgang Heck?«
    Der Bürgermeister wandte sich zu Körner um. »Erstaunt Sie das?«
    Körner schluckte einen dicken Kloß hinunter. »Wolfgang!«, rief er. »Tu es nicht. Komm her! Binde mich los! Wir beide können das zu einem sauberen Ende bringen!«
    Körner verstummte, als Wolfgang Heck im Türrahmen erschien, der rote Bart noch struppiger als sonst, die Ärmel einer verschwitzten Feuerwehruniform bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt. Sein ehemaliger Schulfreund bedachte ihn mit einem traurigen Blick. »Alex, es tut mir Leid. Du hättest auf Gehrer hören und von hier verschwinden sollen. Jetzt ist es zu spät!«
    »Wolfgang!«, unterbrach ihn Körner. »Nichts ist zu spät. Ich brauche nur eine Aussage von dir. Das Landesgendarmeriekommando gewährt dir Straffreiheit, ich kann dir …«
    Heck schüttelte bedauernd den Kopf. »Alex, du verstehst das alles nicht. Wenn wir mit deiner Kollegin fertig sind, wirst du sterben.«
    Heck wandte sich ab und marschierte ins Wohnzimmer. Weißmann folgte ihm wortlos, nachdem er nochmals die Nylonschnur an Körners Handgelenken überprüft hatte.
    Körner zerrte an den Fesseln, biss jedoch im gleichen Augenblick die Zähne zusammen, da das Nylon in sein Fleisch schnitt. Er spürte, wie ihm warmes Blut über das Handgelenk lief. Aus dem Nebenraum drang das Geräusch von gerückten Stühlen. Im Vorzimmerspiegel sah Körner, wie sich beim matten Schein einer Taschenlampe drei Gestalten im Wohnzimmer tummelten: Friedl, Heck und Weißmann. An der Wand der unverkennbare Schatten einer weiteren Person: Weber, mit Kittel und Rundrücken. Körner glaubte Weißmanns brummige Stimme und das Geflüster des Arztes zu hören. Die Männer zerrten eine schlaffe
    Gestalt von der Couch hoch. Ihr Kopf kippte nach vorne, wobei ihr die Haare ins Gesicht fielen. Weißmann packte die Frau am Haarschopf und zog ihren Kopf in den Nacken. Mit einem leisen Stöhnen ließ Sabriski alles über sich ergehen. In ihrem Mund steckte ein Knebel.
    Körner kniff die Augen zusammen, bis er eine hüfthohe Eisenkonstruktion zu erkennen glaubte, deren Schatten sich wie ein Netz an die Wand schmiegte. Es ähnelte dem Gestänge in der Gaslight Bar, mit dem Unterschied, dass dieses hier zerlegt werden konnte. Die Dorfleute mussten es während seiner Bewusstlosigkeit in der Wohnung aufgerichtet haben.
    Während Weißmann die Gerichtsmedizinerin auf die Sitzbank drückte, legte ihr Weber Riemen um die Handgelenke.
    Himmel, nein!
    Körner würde innerhalb der nächsten Minuten das Gleiche zu sehen bekommen, was die Reporterin durch das Fenster der Gaslight Bar beobachtet hatte. Jetzt wusste er, weshalb sie so hysterisch geworden war. Die Reporterin hatte eine Hand voll Mörder gesehen und anschließend mit einem von ihnen, dem Dorfarzt Weber, im Krankenwagen gesessen. Wie schrecklich musste es für sie gewesen sein, als er ihr das halluzinogene Rauschgift spritzte, das sie zum Schweigen brachte und in einen depressiven Dämmerzustand fallen ließ. Sie musste in der Anstalt wahnsinnig geworden sein!
    Körner standen nur noch wenige Minuten zur Verfügung. Mit einem kräftigen Schwung wippte er den Sessel erst nach vorne und anschließend auf die hinteren Stuhlbeine, sodass er mit den Schultern an die rückwärtige Wand stieß. In dieser Kippstellung balancierte der Sessel nur auf den Hinterbeinen. Für eine Sekunde hielt Körner den Atem an und spannte alle Muskeln, bis er die Position stabilisiert hatte. Seine Füße, mit den Gelenken an die vorderen Stuhlbeine gefesselt, schwebten über dem Boden. Vorsichtig rutschte er mit dem Gesäß nach rechts, bis seine Hinterbacke über die Sitzfläche ragte. Danach schob er das rechte Bein nach unten. Zuerst rührte sich die Nylonschnur keinen Millimeter, sondern blieb am Sesselbein kleben, doch als Körner sie mit langsamen Bewegungen zu lockern begann, glitt sie immer weiter nach unten. Am Ende des Stuhlbeins verfing sich die Schnur. Körner lief der Schweiß über die Stirn. Nach einigen

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