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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Böschung ab und landete auf dem Schotter.
    Heck beugte sich aus dem Fenster. »Haltet ihn auf!«
    Körner kämpfte sich hoch. Vom Feld sahen einige Bauern auf. Sogleich ließen sie die Mistgabeln fallen, um zum Gemeindebau zu rennen. Körner spurtete auf die Scheune zu, worin er den Audi versteckt hatte.
    Bestimmt stürmten Friedl und Weißmann jetzt durch das Treppenhaus ins Freie, doch Körner verlor keine Sekunde damit, sich nach ihnen umzudrehen. Keuchend warf er sich in den Wagen und startete den Motor. Er versuchte erst gar nicht, im Retourgang aus der Scheune zu manövrieren, sondern stieg aufs Gaspedal und brach mit dem Kühlergrill durch die Holzbretter der Wand. Die Bauern sprangen zur Seite. Über matschige Ackerfurchen lenkte Körner das Auto auf die Hauptstraße.
     
    27. Kapitel
     
    Es war stockdunkel und so ruhig wie in einem Grab. Körners Hände lagen zitternd auf dem Lenkrad, das Blut rauschte in seinen Ohren und er hörte mit geschlossenen Lidern auf seinen rasselnden Atem, den er zu beruhigen versuchte. Trotz der Kälte lief ihm der Schweiß von der Stirn. Er schmeckte das Salz und sein eigenes Blut auf den Lippen.
    Nach einigen Minuten öffnete er die Augen. Jenseits der Windschutzscheibe lag die abgrundtiefe Dunkelheit des stillgelegten Bergwerkstunnels, worin er seinen Wagen versteckt hatte. Körner griff nach oben, um das Innenlicht des Wagens anzuknipsen. Augenblicklich starrte sein eigenes ausgemergeltes Gesicht von der beschlagenen Frontscheibe zurück. Als er heute Morgen mit Sabriski aus Grein geflüchtet war, hatte ihre Situation nicht vollkommen hoffnungslos ausgesehen. Doch seit seinem knappen Entkommen aus Marias Wohnung war seine Lage mehr als beschissen. Nachdem er nun auch Sabriski verloren hatte, war er als Letzter von seinem Ermittlerteam noch am Leben. Er stand den Einwohnern zweier verschworener Gemeinden gegenüber, und seine Tochter war in den Händen jener Verrückten, die ihn um jeden Preis töten wollten. Er konnte den Kampf unmöglich allein gewinnen. Seine Hand ruhte auf den beiden Handfunkgeräten, die in der Mittelkonsole steckten. Die alten Geräte hatten eine derart schwache Sender- und Empfängereinheit, dass sie nur über eine Reichweite von eineinhalb Kilometern verfügten, wodurch sie ihm so nützlich waren wie ein Megafon. Selbst, falls es ihm irgendwie gelingen sollte, Hilfe von außen zu erreichen - wer würde einem suspendierten Ermittler glauben, der noch dazu seine eigene Exfrau ermordet hatte? Welche Beweise hatte er?
    Er starrte auf das fleckige Tagebuch in seinem Schoß, dem einzigen Überbleibsel all der Skizzen, Tatortfotos, Verhörprotokolle und sonstigen Ermittlungsunterlagen. Was konnte er mit diesen verworrenen Aufzeichnungen beweisen, die er noch nicht mal selbst vollständig gelesen hatte? Nichts, außer dass er ebenso knapp vor dem Wahnsinn stand wie der Verfasser dieser Zeilen. Doch bevor er sich diesem Buch widmete, musste er sich über etwas anderes Gewissheit verschaffen, das wie ein Zahn an seiner Seele nagte: Die Wahrheit über seine Eltern!
    Durch seinen Kopf spukten die Erlebnisse der letzten Stunde, in der er so vieles gehört hatte, von dem er nicht wusste, ob er es glauben sollte oder nicht. Hatte Weißmann seinen Widerstand mit billigen Lügen brechen wollen, damit er endlich zu reden begann, oder wusste der Bürgermeister tatsächlich, was vor 27 Jahren passiert war? Körners Elternhaus war kurz vor seinem vierzehnten Geburtstag bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Waren die vierzehn Jahre bloß eine zufällige Übereinstimmung mit dem Sterbealter der ermordeten Krajnikkinder? Haben Sie nie darüber nachgedacht’?, klangen Weißmanns Worte in seinem Kopf nach. Nein verdammt, das hatte er nicht! Er wollte die Erinnerung verdrängen, keine Sekunde länger als notwendig darüber nachgrübeln. Er wollte nicht hören, was ihm Weißmann über seine Eltern erzählt hatte, es konnte unmöglich stimmen. Seine Mutter war nie und nimmer Teil dieses Wahnsinns gewesen. Doch wahrscheinlich hatte das auch Sabine Krajnik von ihren Eltern gedacht.
    Immer wieder drängten sich Weißmanns Worte in sein
    Gedächtnis. Seine Mutter war demütig gewesen, eine echte Einheimische, tief verwurzelt in der Geschichte des Dorfes. Sie wollte, dass ihr Sohn ebenfalls Teil der kosmischen Wahrheit werde, ein Kind der Schwarzen Ziege mit den Tausend Jungen. Die Schwarze Ziege mit den Tausend Jungen! Dieser verdammte Name jagte ihm einen Schauer über den

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