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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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brauchte er nicht den abgebrühten Ermittler zu mimen.
    »Ich hatte keine schöne Kindheit«, sagte er.
    »Das dachte ich mir.« Sie sah ihn ermutigend an.
    »Dorothea war die ältere Schwester meines Vaters. Sie war entsetzt, als er Wien verließ und nach Grein heiratete. Ich war damals erst einen Monat alt, und sie sah mich nur ein- oder zweimal im Jahr. Ich vermute, sie war in mich vernarrt und wollte mich unbedingt diesem Ort entreißen. Keine Ahnung, weshalb.« Er zuckte mit den Achseln. »Wenn man in diesem Kaff aufwächst, besteht das Leben nur aus der örtlichen Blasmusik, dem Kirchenchor, den Feuerwehrfesten und regelmäßigen Kirchenbesuchen. Sie werden die Leute in diesem Ort bald näher kennen lernen, ihre Fassade blättert schnell ab. Dorothea wusste das. Nach dem Unfall meiner Eltern war sie für mich da und wurde mein Vormund ‘…«
    Er lächelte. »Sie war eine bildhübsche und intelligente Frau, eine richtige Dame. Ohne sie wäre ich zu meinen Großeltern gekommen und in Grein geblieben. Zum Glück kam es anders. Als ich mit vierzehn zu meiner Tante nach Wien übersiedelte, begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Keine Frage, die Großstadt hat ihre Nachteile, doch endlich entkam ich den ständigen Gerüchten, die mich innerlich auffraßen. Ich habe mit meiner Kindheit abgeschlossen.«
    Körner wusste, dass sie nur die Hälfte von dem verstand, was er ihr erzählte, dennoch ließ sie ihn reden - und es tat gut, da er noch nie mit jemandem darüber gesprochen hatte, nicht einmal mit seiner Ex-Frau. Im Gegenteil, diese stammte aus dem Nachbarort und wäre die Letzte gewesen, der er das anvertraut hätte.
    »Wie lange lebten Sie bei Ihrer Tante?«
    »Nicht allzu lange. Nach dem Tod meiner Eltern verkaufte Dorothea den Besitz, verwaltete das Vermögen und kümmerte sich um alles. Die Frau konnte mit Geld umgehen. Mit neunzehn erhielt ich einen Bausparvertrag und zwei Sparbücher. Im gleichen Jahr maturierte ich, kaufte mir mein erstes Auto, einen dunkelblauen VW Käfer, und eine vierzig Quadratmeter-Mansardenwohnung in Wien.« Er lächelte wieder. »Kein besonders ereignisreiches Leben, aber ich kann von Glück sprechen, dass ich diesen Ort rechtzeitig verlassen habe.«
    »Möglicherweise kommen Sie nie wieder hierher. Wenn der Fall abgeschlossen ist, sollten Sie …«
    »Das Grab meiner Eltern besuchen«, ergänzte er. »Ja, vielleicht. Wenn wir den Fall gelöst haben.«
    Er konnte es drehen und wenden wie er wollte, jedes Gespräch führte in eine Richtung: zu seinen Eltern - und damit war für ihn das Thema beendet. Er stieß die Tür vollends auf und sie betraten das Zimmer, eine Dachbodenkammer mit abgeschrägter Decke und einem Dachflächenfenster. Es war ein Raum, wie der vieler pubertierender Mädchen. Er sah sich alles an und versuchte ein Gefühl dafür zu bekommen, was für ein Mensch Sabine gewesen sein musste. Erzähl mir etwas über dich, Mädchen. Warum hat sich der Killer ausgerechnet dich ausgesucht’? Es roch nach Parfüm und Nagellack. Der Kleiderschrank stand offen, Blusen, Jeans, Röcke und Pullover hingen an Kleiderhaken, darunter standen Turnschuhe, Pelzstiefel und ein Paar Rollerblades. In der Ecke häuften sich CDs, ein Stapel Notenhefte, daneben lehnte eine Akustikgitarre in einer halb geöffneten Ledertasche. Die Saiten waren für eine Linkshänderin gespannt. Jana Sabriski hatte mit ihrer Vermutung also Recht behalten. Auf dem Bett saßen Hasen und Pandabären aus Stoff und eine an die zwei Meter lange, selbst gehäkelte und vermutlich mit Stoffresten ausgestopfte Schlange. Der Schreibtisch sah weniger aus wie der eines Schulmädchens, sondern eher wie der eines Mannequins. Spiegel, Bürsten, Lippenstifte, Haarspangen, Kajal- und Augenbrauenstifte und Tuben mit Rouge, Lidschatten und Wimperntusche lagen und standen herum. Das Arsenal hätte für die Halloweenverkleidung einer Fußballmannschaft gereicht. Neben dem Tisch lehnte eine Zeichenmappe, worin sich bestimmt ihre Gemälde befanden, die ihr Vater für Zeitverschwendung hielt. Er spähte hinein und blätterte durch ein Dutzend Landschaftsaquarelle, immer wieder das gleiche Motiv: Flüsse, Wälder und die schneebedeckten Bergkämme des Rosaliengebirges.
    An der Wand hingen Poster von Nirvana, Puddle of Mudd, Kylie Minogue und Marilyn Manson. Merkwürdig, womit sich die Jugendlichen heutzutage identifizierten. Doch besser, sie ahmten Marilyn Manson und nicht Charles Manson nach - das machte die Sache für ihn als

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