Der Judas-Schrein
dabei?«
»Ja.«
Die Mutter blickte Körner erschrocken an. War sie endlich aus ihrer Teilnahmslosigkeit erwacht?
»Wer könnte den Tod des Mädchens gewollt haben?«, fuhr er ohne Zögern fort.
»Niemand.«
»Hatte sie Verehrer?«
»Nein.«
»Traf sie sich mit älteren Männern?«
»Nein.«
»Hatte sie Feinde?«
»Nein. Worauf…?«
»War sie schwanger?«
»Aber wie …?«
»Hatte sie in letzter Zeit Besuch?«
»Ich …«
»Führte sie längere Telefongespräche?«
Bert Krajnik machte einen Schritt auf Körner zu. »Jetzt aber halblang, Freundchen.« Seine Augen funkelten zornig.
Körners Puls raste. Die Trägheit der beiden regte ihn auf, er wollte sie aus ihrem Schlaf reißen und hatte sich selbst zu sehr hineingesteigert. »Ihre Tochter wurde verstümmelt«, fuhr er den Mann scharf an. »Schon Morgen könnte der Killer wieder zuschlagen und sich das nächste Mädchen vornehmen, und Sie tun so, als ob …«
»Körner!« Seine Kollegin starrte ihn mit aufgerissenen Augen ungläubig an.
Scheiße! Er verlor die Kontrolle. Er fuhr sich übers Gesicht und roch seinen eigenen Schweiß. So ein Ausbruch war ihm noch nie passiert. Eigentlich sollten die Krajniks durchdrehen und nicht er! Immerhin lag die Tochter dieser Leute wie ein ausgeweidetes Tier in einer schmierigen Spelunke, und die Eltern benahmen sich, als sei die Hauskatze von einem Auto angefahren worden. Nicht nur, dass die Eltern in einer beklemmenden Lethargie gefangen waren, sie würden auch nicht weiter mit ihnen zusammenarbeiten. Körner kannte das von früheren Gesprächen mit Angehörigen der Opfer. Zu Beginn der Ermittlungen hatten sie das Geschehe;, roch nicht erfasst und wollten sich nicht damit auseinander setzen. Aber diese Leute, denen er gerade gegen-übersLsjife, würden es für immer verdrängen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass ihm der Mord nahe ging. Seine sonstige Distanz zum Opfer war wie weggewischt. Lag es daran, dass seine Tochter gleich alt war und im Nachbarort wohnte? Wie hätte er reagiert, wenn plötzlich zwei Kripobeamte in seiner Küche standen und ihm erzählten, die Rückenwirbel seiner Tochter lägen im Umkreis von drei Metern auf den Holzdielen einer heruntergekommenen Diskothek verstreut?
»Es tut mir Leid«, brachte er hervor. »Meine Tochter wird ebenfalls vierzehn. Sie wohnt im Nachbarort, in Heidenhof. Entschuldigen Sie bitte.«
Die beiden Krajniks sahen ihn stumm an. »Jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne«, sagte die Frau. »Sie sind der Sohn der Gstettner Lisi und der Mann von der Schabinger Marli.«
»Ihr Exmann.«
»Dürften wir uns das Zimmer Ihrer Tochter ansehen?«, unterbrach Berger.
Körner atmete tief durch. Er war heilfroh, dass er nicht weiter über seine Familienverhältnisse reden musste.
Marga Krajnik nickte zur Tür. »Sabines Zimmer ist oben, die Treppe rauf, die Tür am Ende des Gangs.«
Die Kriminalpsychologin betrachtete Körner besorgt. »Sie sehen krank aus.«
»Es geht schon wieder.«
Sie stiegen die Treppe hinauf, während die Krajniks in der Küche blieben. Im oberen Stockwerk war die Luft angenehmer, da das Flurfenster gekippt war und der erfrischende Geruch von Regen, Laub und feuchter Erde in den Gang strömte. Als sie über den knarrenden Holzboden gingen, wandte sich die junge Beamtin Körner vertrauensvoll zu. »Am Tatort war keine Schultasche«, flüsterte sie.
»Ich weiß.«
Sie blickte ihn erstaunt an. »Sie haben sich nichts anmerken lassen.«
»Tu ich nie.«
»Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«
»Wenn ich nicht antworten muss.«
Sie erreichten das Ende des Gangs und standen vor einer geschlossenen Tür. Berger legte die Hand auf die Klinke, öffnete die Tür aber nicht.
»Sie sagten doch, Sie seien schon seit siebenundzwanzigjahren nicht mehr hier gewesen. Waren Sie nie am Grab Ihrer Eltern?«
Körner schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, ob er ausgerechnet heute darüber reden wollte. Vielleicht hätte er eines Tages mit Philipp darüber gesprochen, bei einem Bier in einem verrauchten Lokal nach Mitternacht, doch nicht während der Ermittlungsarbeiten mit einer Kriminalpsychologin, die er erst seit drei Wochen kannte.
»Schon gut, Sie müssen mir nicht antworten.« Sie zog die Tür auf.
»Nein, das ist okay«, sagte er eine Spur zu rasch. Sie stand im Türrahmen und wartete, als habe sie alle Zeit der Welt. Vielleicht sollte er gerade deshalb mit ihr reden, weil er sie so kurz kannte und sie nahezu nichts über ihn wusste. Bei ihr
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