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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Tochter weiß ich, dass ihr die neue Rechtschreibung in der Schule eingedrillt wird.«
    Berger zuckte mit den Achseln. »Wer beherrscht die schon?«
    »Können wir gehen?«, rief der Elektriker von unten rauf. »Gleich«, antwortete Berger angespannt. »Weiter!«, drängte sie Körner.
    Er nahm ihr den Kugelschreiber aus der Hand und deutete auf den umgekippten Stuhl. »Messen sie den Stuhl ab, ich wette, er ist zu niedrig. Damit hätte der Junge niemals die Hängestellung erreichen können. In einer Stunde wissen wir mehr, Philipp kann im Handumdrehen feststellen, ob der Sessel bloß dazugelegt wurde oder nicht.« Körner deutete zur Decke. »Und sehen Sie das abgewetzte Seil und die Schleifspuren am Holzbalken? Der Leichnam wurde daran hochgezogen.«
    »Die können durch das Hantieren mit dem Seil zu Stande gekommen sein. Ihre Theorie ist weit hergeholt.«
    Er atmete tief durch. »Fein! Dann satteln wir das Pferd von der anderen Seite auf: Das Fehlen von Spuren ist genauso aufschlussreich wie ihr Vorhandensein.«
    Sie sah sich um. »Was fehlt denn?«
    Er deutete mit dem Kugelschreiber auf Martins Handfläche. »Der Junge hat keine Faserspuren an den Händen, die er aber haben müsste, wenn er mit dem Seil hantiert hätte, wie Sie behaupten.«
    Darauf wusste Berger keine Antwort.
    »Treten Sie einen Schritt zurück«, forderte er sie auf.
    Sie ging zur Seite.
    »Sehen Sie? Obwohl wir keine Schuhe anhaben, hinterlassen wir Abdrücke im Teppichboden.« Sie runzelte die Stirn.
    »Die Sesselbeine haben nicht den geringsten Abdruck hinterlassen, obwohl sie angeblich das Gewicht des Jungen trugen.«
    Berger ging in die Hocke und begutachtete den Boden unter der Leiche. »Also ein zweiter Mord«, seufzte sie nicht besonders überzeugt.
    »Es ist nicht bloß ein zweiter Mord«, sagte Körner. »Es ist viel mehr als das. Der Mörder inszenierte die Tat als Selbstmord. Mit Sicherheit legte er falsche Spuren für uns, denen wir folgen sollen. Andererseits hinterlässt jeder Täter unabsichtlich authentische Spuren, auch wenn er noch so vorsichtig arbeitet. Doch welche Spuren sind fingiert und welche echt? Jedenfalls ist eines klar: Der Killer wollte uns einen Sündenbock für den Mord an Sabine Krajnik liefern. Das führt zur nächsten Frage: Weshalb hat er sich ausgerechnet Martin dafür ausgesucht?«
    »Verdammt, wie lange brauchen Sie noch?«, brüllte Martins Bruder durch das Haus. Er klimperte mit dem Werkzeug und marschierte durch die Diele, danach hörten sie, wie er im Garten die Autotür zuschlug.
    »Je mehr ein Täter unternimmt, um seiner Entdeckung zu entgehen, desto mehr Hinweise gibt er uns. Wir müssen sie bloß finden.« Körner sah die Psychologin an.
    Berger starrte zum Gesicht der Leiche, wandte aber den Blick rasch wieder ab. »Der Täter ist groß und kräftig. Er hatte Zutritt zu diesem Zimmer. Vermutlich hat er heute Morgen zugeschlagen, ähnlich wie bei Sabine.«
    Körner schüttelte den Kopf. »Martin ist länger tot. Viel eher war es gestern Abend.«
    Die Haustür krachte ins Schloss.
    »Ich muss jetzt wirklich los!«, brüllte Hermann Goisser durch das Treppenhaus. Sie hörten, wie er die Stufen heraufstieg.
    »Kommen Sie!« Körner packte Berger am Ellenbogen und zog sie aus dem Zimmer. Rasch schlüpften beide in ihre Schuhe.
    »Prüfen Sie die Telefonate vom Vortag«, raunte er ihr zu.
    »Unmöglich! Die Telekom rückt die Informationen nicht raus, nicht mal wenn der Staatsanwalt einschreitet. Wir bekommen die Liste erst, wenn die Telekom die Periode abrechnet, und das ist Ende Oktober.«
    »Ich kenne jemanden bei der Telekom, der uns die Liste früher gibt.«
    »Sind Sie verrückt? Das ist illegal!«, entfuhr es ihr. »Wenn das rauskommt, hat das Landesgendarmeriekommando noch mehr gegen Sie in der Hand.« Sie verstummte abrupt.
    Hermann Goisser stand keuchend vor ihnen. Schweiß lief ihm übers Gesicht. Er sah aus, als habe er ein Dutzend Stromzählerkästen zum Wagen geschleppt.
    »Können wir endlich? Meine Kundschaft wartet. Ich verrechne Regiestunden und …«
    Körner verzichtete auf eine lange Einleitung. »Ihr Bruder ist tot.«
    Hermann starrte ihn mit offenem Mund an. »Er hat Selbstmord begangen.« Körner trat zur Seite und nickte ins Zimmer.
    Goisser stürzte an ihm vorbei und glotzte in den Raum. Augenblicklich zog er die Schultern hoch. Seine Hand krallte sich am Türstock fest. Körner hielt ihn zurück, um zu verhindern, dass er in das Zimmer lief. Doch die Angst war unbegründet.

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