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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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hätte jeder der Mörder sein können, da alle im Ort wussten, dass die Hintertür zum Goisserhaus immer offen stand. Sabine Krajnik war öfter zu Besuch gekommen, der Bäcker stellte Milch und Brot in den Vorraum, und Goissers Kunden kamen vorbei, um das Geld auf den Küchentisch zu legen. Laut Goissers Aussage brauchte man in Grein keine Türen zu versperren, da niemand etwas zu befürchten hatte … bis vor kurzem.
    Während Berger in der Küche Tee aufsetzte, befragte Körner den Elektriker weiter zu seinem Bruder. Allerdings kamen dabei keine wesentlichen Überraschungen zu Tage. Martin Goisser musste ein ähnlicher Einzelgänger wie Sabine Krajnik gewesen sein, zumindest was die Freundschaften im Ort betraf. Er hatte kaum Kontakt zu den Gleichaltrigen, die Fußball spielten, mit den Fahrrädern über die Waldwege des Hohen Gschwendts bretterten, in den Sommerferien mit Schlafsäcken auf der Deichkrone oder in der alten Mühle campierten, oder Mitglieder in der Jugendtruppe der Freiwilligen Feuerwehr waren.
    Für die Jungs und Mädchen im Ort war Martin ein Streber, der sich in Büchern verkroch und für etwas Besonderes hielt, weil er nicht in Schwetz sondern in Neunkirchen zur Schule ging. Er traf sich selten mit Freunden, hockte stundenlang vor dem PC, surfte durchs Internet, lud sich Programme runter, schrieb E-Mails oder tüftelte nächtelang an Computerspielen, sodass er am nächsten Morgen kein Auge aufbrachte. Doch so lange die Schulnoten passten, regten sich Hermann und seine Mutter nicht auf und ließen dem Jungen seinen Freiraum.
    Über Martins sonstige Interessen wusste Hermann nicht viel zu erzählen, was auch nicht notwendig war - Körner hatte sich im Zimmer des Jungen einen Überblick darüber verschafft: Comicalben, Modemanschluss und tonnenweise Sachbücher. Physik, Mathematik, Geografie und Geschichte schien ihn fasziniert zu haben, und aus Sabine Krajniks Tagebuch wussten sie, dass er sich für die Dorfchronik interessiert hatte.
    Im Gegensatz zu Sabine, die Rockmusik hörte und mit ihren Aquarellen und der Akustikgitarre künstlerisch veranlagt war, wirkte Martin wie der intellektuelle, nachdenkliche Typ. Falls sich Gegensätze tatsächlich anzogen, hatten sich hier zwei Außenseiter getroffen und eine enge Freundschaft geknüpft. Abgesehen davon, dass der Mörder mit Martins Tod der Polizei einen Sündenbock liefern wollte, gab es vielleicht ein weiteres Motiv, weshalb ausgerechnet Martin sterben musste. Im Moment beschäftigte Körner eine Frage am Brennendsten: Welche Verbindung gab es zwischen den beiden Morden?
    Da knirschten vor dem Haus Autoreifen im Kies. Wagentüren schlugen zu, das Holztor quietschte. Im nächsten Moment klopfte es an der Tür. Körner blickte aus dem Fenster und sah einen weinroten Kastenwagen mit Wiener Kennzeichen: Philipps Vehikel. Philipp musste wie ein Narr gerast sein.
    Ohne ein »Herein!« abzuwarten, polterten Philipp, Basedov und Sabriski ins Haus. Sie waren voll gepackt mit Koffern, Stativen, Folien, Beleuchtungskörpern und einer Aluleiter und stellten alles im Vorraum ab.
    »Scheißwetter!«, fluchte Philipp. »Wenn wir lange hier rumhängen, kommen wir nicht mehr weg. Der Fluss schäumt bloß noch einen Zentimeter unter der Brücke durch, die Feuerwehr stützt die Pfeiler. Ich schlage vor wir beeilen uns … Tag.« Er nickte Hermann Goisser zu. Dieser saß stocksteif auf der Couch und starrte Philipp an.
    Berger warf Körner einen entsetzten Blick zu. Typisch Philipp, er brachte nicht das geringste Feingefühl auf. Für ihn bedeutete ein Mord nichts weiter als Berufsroutine, über die er nicht weiter nachdachte.
    »Im ersten Stock!« Körner scheuchte die drei rauf, bevor Philipp damit beginnen konnte, blöde Witze zu reißen.
    Berger wandte sich an Goisser. »Wenn Sie möchten, mache ich uns noch eine Tasse Tee, und wir könnten …«
    Der Elektriker wehrte ab. »Ich brauche keine psychologische Betreuung. Mir geht es gut. Besser, ich kümmere mich jetzt um meine Kundschaft.«
    Berger wollte protestieren, doch Goisser ging grußlos nach draußen und ließ den Motor des Volkswagens an. Die Kriminalpsychologin stand mitten im Wohnzimmer und riss die Hände in die Luft. »Das darf doch wohl nicht wahr sein. Die stürmen rein wie eine Horde Affen.«
    Körner kannte die Prozedur zur Genüge. »Gehen wir rauf«, schlug er vor.
     
    »Ihr beiden Anfänger habt den Tatort zertrampelt!«, empfing sie Philipp wütend, als sie vor der Tür standen und in die

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