Der Judas-Schrein
davon.« Sabriski schien sich bestens zu amüsieren.
Basedov kletterte aus dem Auto in den Regen. »Lacht nur, ich finde das nicht witzig! Ich muss heim.« Philipp stieß ein verächtliches Schnauben aus.
»Du kennst meine Frau, die erschlägt mich, wenn ich heute Abend nicht auf die Kinder aufpasse. Ich habe meiner Kleinen versprochen, mir mit ihr Arielle anzusehen.«
Philipp starrte ihn fassungslos an. »Du schaust mit deinen Kindern Sexfilme?«
Körner massierte sich die pochenden Schläfen. Das konnte was werden, mit der zankenden Truppe zusammengepfercht zu sein, während es draußen in Strömen goss. Er durfte gar nicht darüber nachdenken. Körner kniff die Augen zusammen und blickte zum Himmel. Die Regenwolken machten nicht den Eindruck, als würden sie weiterziehen. Woher kam nur der viele Regen?
»In Ordnung, Leute.« Er klatschte die Hände zusammen. »Ich schlage vor, wir fahren ins Ortszentrum und suchen nach einer Unterkunft.«
In Grein gab es nur ein mögliches Quartier. Die ausgeblichene Tafel Zimmer frei stand noch immer im Fenster des Braunen Fünfenders. Die Dorfschenke bestand aus einer Stehbar, einem Schankraum für Kartenspieler, einer Stube, wo Mittag- und Abendessen serviert wurde, und einem Saal, wo Hochzeiten und Geburtstagsfeste stattfanden. Im oberen Stockwerk lagen die Fremdenzimmer, die meist im Frühjahr von Wanderern belegt wurden. Sonst standen die Zimmer das gesamte Jahr über leer.
Körners Audi und Philipps Kastenwagen parkten vor dem Gasthaus. Es regnete so dicht, dass der Kirchturm nur schemenhaft zu erkennen war. Die Straßen blieben menschenleer. Aber mitten auf dem Hauptplatz vor dem Marmorbrunnen stand ein Pumpwagen. Einige Feuerwehrleute verlegten schwarze Kunststoffschläuche, steckten die Kupplungen aneinander und schlossen Manschetten über die Verbindungsglieder. Auf einem Rollwagen wurde eine Pumpe angekarrt.
Philipp knallte die Autotür zu und stürmte auf die Männer los. Sofort heftete sich Körner an seine Fersen, um das Schlimmste zu verhindern.
Einer der Feuerwehrleute stemmte zornig die Hände in die Hüften. »Hören Sie! Heute Morgen fielen sechzig Liter Regen pro Quadratmeter. Das Flussbett ist mit seiner Kapazität am Ende. Die meisten Zuflüsse führen Hochwasser. Selbst im Burgenland steht den Menschen das Wasser bis zum Hals. Glauben Sie, denen geht es besser?«
»Dann unternehmen Sie etwas!«, fauchte Philipp.
»Können Sie Bagger, Tieflader und Bergepanzer herzaubern, die unsere Brücke stützen?«, brüllte der Feuerwehrmann.
Körner packte Philipp an der Schulter. »Was ist bloß los mit dir?«
Er führte ihn weg.
»Die Typen im Ort haben alle eine Macke. Schau dir nur den an!« Philipp nickte zum Krämerladen. Der alte Lebensmittelhändler Gehrer stand vor seinem Laden. Die Kappe tief ins Gesicht gezogen, die Hände in die Hosentaschen gestopft, beobachtete er, wie sie über den Hauptplatz durch den Regen wateten. In der Seitengasse stand ein Pumpwagen. Ein Schlauch lag auf dem Bürgersteig und verschwand über die Treppen im Laden. Ölgestank wehte herüber.
»Hat der Opa nichts Besseres zu tun? Steht im Regen und starrt auf den Dorfplatz«, murrte Philipp.
»Verhafte ihn doch!«
Sie kamen zum Eingang des Braunen Fünfenders. Diesmal besetzten keine alten Bauern die Bank und beobachteten das Treiben auf dem Hauptplatz. Seit gestern hatte es deutlich abgekühlt und es war selbst für einen wettergegerbten Bauern zu kalt, um im Freien zu sitzen.
Basedov wartete mit Berger und Sabriski unter dem Vordach auf sie. In ihrer Mitte stand die Wirtin des Gasthauses. Körner schätzte sie um fünf Jahre jünger als er selbst war. Sie trug eine Schürze über einer kurzärmeligen Bluse und schlang die Arme um den Körper. Bestimmt fror sie. Wie er an ihrer schlanken Gestalt, den sehnigen Armen und drahtigen Fingern zu erkennen glaubte, war sie eine Frau, die zupackte und alle Arbeiten im Gasthaus, von Dielen bohnern bis Bier ausschenken, allein bewältigte. Gewiss lebte sie schon seit ihrer Geburt in Grein und konnte sich ebenso wenig an ihn erinnern, wie er sich an sie.
Sie hieß Waltraud Stoißer und hatte den kräftigen Händedruck eines Mannes. Von ihr erfuhr er, dass sie das Leitungswasser nicht benutzen durften, da das Grundwasser in die Keller einiger Häuser gedrungen war und die Öltanks aufgerissen hatte. Aus dem Keller des Krämerladens wurde gerade ausgeflossenes Heizöl abgepumpt. Sonst war die Lage unter Kontrolle.
Stoißer
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