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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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standen in den Nischen weitere Holzfiguren von Heiligen.
    »Nicht schlecht. Der Altar ist im gotischen Stil gehalten, in Holz ausgeführt und eichenfarbig in Öl gestrichen.«
    Sabriski sah ihren Begleiter erstaunt an. Dieser lächelte blasiert und strich sich das Haar hinters Ohr als wolle er sagen: Da staunst du, was?
    Der Pater wandte sich um. »Die Bilder des Kreuzwegs stammen aus derselben Zeit - Ölfarbendrucke, auf Leinwand gespannt. Als die Kirche 1867 neu errichtet und mit Kehlheimplatten gepflastert wurde, fand man unter dem Hochaltar drei Templergräber, mit Gebeinen, Kreuzen und Schwertstücken. Die Orgel und der Taufbrunnen aus Marmor wurden 1871 aufgestellt, die Turmuhr 1901 angebracht, und vor nicht ganz zwanzig Jahren erhielten wir zwei vollwertige Glocken mit elektrischen Läutmaschinen.« Der Pater hielt inne. »Ich langweile Sie doch nicht etwa?«
    Sabriski wollte bereits antworten, als ihr Philipp zuvorkam.
    »Zuhören ist unser Beruf«, sagte er. »Was befindet sich dort unter der Plane?« Er nickte in Richtung eines riesigen weißen Lakens, das sich meterlang über ein Holzgerüst spannte. Der Anblick erinnerte Sabriski an den Salon einer verlassenen Villa, deren Bewohner längst ausgezogen waren und die Möbel mit Tüchern verhüllt hatten.
    »Darunter liegt der Judas-Schrein«, antwortete der Pater leichthin.
    Sabriski erstarrte. Aus dem Augenwinkel schielte sie zu Philipp, der ebenfalls in der Bewegung verharrte. Dachte er das Gleiche wie sie? Erinnerte er sich an die Datei auf Martins PC, die denselben Namen trug?
    »Was ist der Judas-Schrein?«, erkundigte sie sich beiläufig.
    Pater Sahms ließ den Rosenkranz von einer Hand in die andere gleiten. »Nichts weiter als ein großer, altertümlicher Beichtstuhl. Er ist schon seit Jahren verhangen und abgesperrt. Die Kirchenleitung konnte sich nicht dazu entschließen, ihn wegreißen zu lassen.«
    »Weshalb dieser merkwürdige Name?« Philipp ging auf das Laken zu und hielt vor der Absperrung. Unter dem Tuch war nur ein schwarzer Holzsockel zu erkennen. »Das Laken sieht nicht danach aus, als hänge es schon seit Jahren hier.«
    Der Pater trat an seine Seite. »Sie stellen viele Fragen, aber ich fürchte, auch das ist Ihr Beruf«, seufzte er. »Wir decken den Beichtstuhl ab, damit er uns nicht an seine schlimme Vergangenheit erinnert. Der Judas-Schrein geht auf Pater Dorn zurück.«
    Pater Dorn und der Judas-Schein! Sabriski spürte, sie waren kurz davor, Martins Recherchen aufzudecken. Was immer der Junge in seiner Dachkammer, im Kirchenarchiv oder in der Dorfchronik herausgefunden hatte, hatte ihn womöglich das Leben gekostet.
    »Pater Dorn wurde ermordet!«, platzte es aus ihr heraus. Philipp sah sie scharf an. Sie biss sich auf die Unterlippe. Verdammt, sie sollte sich nicht einmischen und ihm das Reden überlassen. Als Spurensicherer hatte er wenigstens eine kriminalistische Ausbildung, die ihr als Gerichtsmedizinerin fehlte.
    »Sie haben davon gehört! Ja, so erzählt es zumindest die Überlieferung.« Pater Sahms nickte gelassen. »Nach dem pfarramtlichen Sterberegister ist Pater Dorn 1864 im sechzigsten Lebensjahr verstorben, in jenem Jahr als der Westflügel der Kirche bis auf die Grundmauern niederbrannte. Einzig der Judas-Schrein hat diesen dunklen Tag in der Geschichte überdauert. Die Kirche wurde erst Jahre später wieder aufgebaut.«
    »Weshalb wurde der Pater ermordet?«, fragte Philipp.
    Der Pfarrer runzelte die Stirn. »Angeblich wurde er von den Dorfbewohnern getötet. Den Grund kann ich Ihnen nicht nennen. Nach dem Pfarrgedenkbuch zu urteilen führte Pater Dorn einen strengen Lebenswandel. Wachen, Fasten, Beten und Geißelungen waren seine täglichen Exerzitien.«
    »Was können Sie uns über Martin Goisser erzählen?«, lenkte Philipp das Gespräch in die Gegenwart.
    »Nichts.« Pater Sahms hob bedauernd die Schultern. Einmal mehr wirkte er wie ein kleinwüchsiger, gebrechlicher Greis.
    »Sie kannten ihn doch bestimmt«, vermutete Philipp. »Vielleicht fällt Ihnen etwas ein.«
    »Der Junge besuchte häufig die Kirche, leider nie die Messe, sondern nur das Archiv.«
    »Was hat er dort getrieben?«
    »Gelesen?«, schlug der Pater vor. »Das Archiv ist öffentlich zugänglich, aber es kommen so gut wie keine Besucher her.«
    »Dürfen wir es sehen?«
    »Es befindet sich neben der Sakristei im Ostflügel. Folgen Sie mir.« Pater Sahms ging voraus und führte sie durch einen Torbogen in einen Seitentrakt, der mit einer

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