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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Warum ausgerechnet hier? Als sie mit der Hand darüber fuhr, fiel ihr ein Stück der Holzleiste entgegen. Im Mauersockel kam ein schmaler Spalt zum Vorschein. Sie klemmte die Finger dazwischen und hob mit einer überraschenden Leichtigkeit ein quadratisches Holzstück aus dem Parkettboden. Darunter lag eine Vertiefung im Fundament, und darin befand sich ein speckiges, aufgewelltes Buch mit Ledereinband.
    »Philipp!«, rief sie. »Schau doch!« Sie griff in die Vertiefung und wollte das Buch herausnehmen.
    Philipp raste um die Ecke. »Nicht berühren!«
    Sie fuhr zurück. Der Spurensicherer ließ sich keuchend neben sie auf die Knie nieder. Er zog ein Paar Nylonhandschuhe aus der Manteltasche und streifte sie über. Vorsichüg hob er das Buch aus dem Versteck. »Ich will wissen wer es angefasst hat.« Als er das Buch aufschlug, wurden seine Augen groß. »Was ist das?«
    »Schau es dir an.« Er hielt ihr den aufgeschlagenen Band vor die Nase.
    Mühsam versuchte sie die Handschrift zu entziffern. »Wieder die alten Kurrentzeichen - ich kann das nicht lesen!«
    »Ich sehe schon, du hast keine Ahnung von Kirchengeschichte!« Philipp führte das Buch dicht ans Auge. »Ein Tagebuch. Der erste Eintrag stammt vom Jänner 1864 und der letzte …« Er blätterte zum Ende. »… vom einundzwanzigsten Juni.«
    »Sommersonnenwende!«, betonte Sabriski. »Der Tag, an dem die Kirche niederbrannte.«
    Philipps Augen leuchteten. »Möglich, dass Martin daran interessiert war. Aber weshalb hat er es nicht mitgenommen?«
    »Das verstehst du nicht«, seufzte sie. »Martin war noch nicht mal vierzehn Jahre alt. Wahrscheinlich hatte er Hemmungen, es zu stehlen, deshalb kam er immer wieder hierher, um darin zu lesen.«
    »Ich hätte das Buch mitgenommen.«
    »Zum Glück sind nicht alle Menschen wie du! Was steht drin?«
    Er blätterte zum Anfang und las ihr den ersten Satz vor. »4. Jänner 1864: Der neue Altarstein, den wir vor zwei Monaten aus St. Gyden im Dekanat Kempen bekommen hatten, brachte uns bisher nur Unannehmlichkeiten. Bereits am Tag der Aufstellung senkte sich der Boden gewaltig, und zu allem Überfluss entstand gestern im Chorbogen ein Mauerriss, der sich seit Stunden weiter ausdehnt… der Rest der Seite ist verwischt.« Er schloss das Buch. »Was haben Martins Recherchen und dieses Buch mit seiner und Sabines Ermordung zu tun?« Er fischte eine Nylontüte aus der Manteltasche und ließ das Buch hineingleiten. »Voilá … ich bin mir sicher, Alex wird die Zusammenhänge finden.« Er streifte die Handschuhe ab.
    Nachdenklich blickte Sabriski auf die Tüte mit dem Buch. »Martin war schlauer, als wir alle glauben. Zweifellos steckt mehr hinter der Sache, als wir bisher ahnen. Der Junge hat nicht umsonst die Vergangenheit dieses Dorfes aufgewühlt.«
    An dieser Stelle endete Sabriskis Bericht. Körner betrachtete die Lektüre, die wie ein antiquierter Gedichtband vor ihm lag, ohne danach zu greifen.
    »Du kannst es ruhig anfassen«, sagte Philipp. »Es ist mit Fingerabdrücken übersät, doch alle stammen von Martin Goisser.«
    »Wer hat das Buch geschrieben?«
    »Lies dir die letzte Seite durch.«
    Körner blätterte das Buch auf und begann die Kurrenthandschrift zu entziffern. »Ich werde versuchen durch das Fenster zu klettern, über die Mauer zu steigen und bei Nacht durch den Ort zu fliehen. Doch wohin’? Ich habe nur den Beruf des Messdieners erlernt. Angeblich gibt es in Wien viele Kirchen. In dieser fernen Stadt werde ich mein Glück versuchen … alles klar, ich werde es später lesen.« Er schlug die Lektüre zu.
    »Was hast du auf der Gemeinde rausgefunden?«, fragte ihn Sabriski.
    Körner sah auf. »Bei dem Beben vor Sechsundsechzig Jahren wurden drei Grubenarbeiter verschüttet, ihre Leichen nie geborgen. Und außerdem habe ich einen Hinweis erhalten, wer der Rundschau den Tipp gab, dass in den Morgenstunden etwas Schreckliches in der Greiner Diskothek passieren würde.«
    Plötzlich kam Bewegung in die Gruppe. Berger und Sabriski rutschten an die Sesselkante, Philipp trat einen Schritt näher und sogar Basedovs Gesicht tauchte hinter dem Monitor auf.
    »Worauf warten wir? Schnappen wir uns den Kerl!«, rief Philipp.
    »Zu spät. Es war Martin Goisser.«
    Philipp stieß einen Fluch aus. Die anderen sahen Körner betrübt an.
    Dieser nickte langsam. »Der Bursche wusste etwas über die Mörder, womöglich kannte er sogar die gesamten Hintergründe. Sie kamen ihm auf die Schliche, eliminierten rechtzeitig ihn und

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