Der Judas-Schrein
tropfte, große Lachen bildeten sich auf dem Holzboden. Die Helme lagen auf den Tischen und die blauen Uniformjacken hingen über den Stuhllehnen. Körner roch die verschwitzten Körper der Männer, als er sich an ihnen vorbeidrängte. »Sie nahmen Philipp, ihn und die beiden Frauen gar nicht wahr, zumindest drehte sich keiner nach ihnen um.
Er hatte fest damit gerechnet, die Männer würden sich mit Bier volllaufen lassen, doch da irrte er. Hinter der Bar stand Waltraud Stoißer, die Wirtin, und ließ heißes Wasser aus der Maschine in eine Reihe Becher fließen. Das Gerät dampfte, in der Stube roch es nach Schwarztee und Zitrone. Gierig griffen die Feuerwehrleute nach den Getränken. Durch die offen stehende Schanktür fuhr ein klirrend kalter Windstoß in den Raum. Vor der Tür häuften sich auf einen halben Meter Sandsäcke, die vor einer Stunde noch nicht da gewesen waren. Von einem Feuerwehrmann am Tresen erfuhr Körner, dass die Gebäude im Ort kaum noch zu retten waren, wenn das Wasser erst mal das Fundament und die Grundmauern unterspült hatte. Die ersten Risse waren bereits entstanden, und die Feuchtigkeit kroch langsam nach oben.
Die Wirtin hatte bereits vermutet, dass Körner und seine Ermittler Schlafplätze für die Nacht brauchen würden und legte die vier Schlüssel vom Wandbord auf den Tresen. Die Zimmer lagen im oberen Stockwerk. Aus der Abstellkammer sollten sie sich Heizstrahler holen, da eine kalte Nacht bevorstand. Körner und Sabriski bekamen je ein Einzelzimmer, Berger und Philipp je ein Doppelzimmer. Basedov sollte bei Philipp übernachten.
Nach der Zimmerverteilung wollten sich Berger und Sabriski für die Nacht rüsten und noch rasch im Krämerladen einkaufen, der bis halb acht geöffnet hatte. Doch die Wirtin gab zu bedenken, dass Gehrer nicht mehr viel Artikel im Laden haben würde. Wenn erst mal die Feuerwehr ausrückte und Sandsäcke auf die Deichkrone packte, stürzten die Dorfbewohner ins Geschäft und plünderten es restlos. Alle bereiteten sich mit Hamsterkäufen auf die große Flut vor, falls der Deich brach. Die beiden Frauen wollten die letzten Keksvorräte ergattern, sowie Zahnpasta, Duschgel, Socken, Unterhosen, T-Shirts, Deo, Bürsten, Gesichtscreme und Taschentücher.
»Und schon sind sie weg.« Philipp sah den Frauen fasziniert nach.
Sie liefen mit den Händen über den Köpfen quer über den Platz, Sabriski rannte spordich und schnell, Berger wich den Lachen zaghaft in großem Bogen aus. »Frauen!« Philipp schüttelte den Kopf. »Für einen Einkaufsbummel rennen sie sogar durch das ärgste Gewitter.«
Eben schob sich eine Wolkenfront vorbei und verdunkelte den Hauptplatz. In weiter Ferne gingen die Blitze nieder, dumpfes Donnergrollen rollte über das Land. Die Wirtin schob das Tablett mit der nächsten Portion heißer Getränke den Tresen hinunter. »Tee!«, rief sie und Bewegung kam in die Männer. Anschließend wandte sie sich an Körner. »Übrigens gibt es Probleme mit dem Wasser.«
»Ja, ich weiß, aus Gehrers Keller fließt Öl.«
»Nein, schlimmer.« Erschöpft stützte sie die Arme auf die Theke und legte den Kopf in die Hände. »Im gesamten Ort gibt es kein Trinkwasser mehr. Das Grundwasser hat die Leitungen zerstört. Ich koche den Tee mit Mineralwasser.« Sie grinste. »Schmeckt scheußlich, aber die Kerle merken das gar nicht.«
»Haben Sie überhaupt so viel Sprudel?«
»In rauen Mengen! Damit kommen wir schon durch. Ich schlage vor, Sie nehmen sich ein paar Flaschen aufs Zimmer. In der Zwischenzeit installiert die Feuerwehr unsere Trinkwasseraufbereitungsanlage. Sobald die funktioniert, können aus dem Fischteich binnen einer Stunde fünfhundert Liter Wasser trinkbar gemacht werden.« Sie verschwand für einen Moment unter dem Tresen und wuchtete einen Sechserpack Mineralwasser auf den Schanktisch.
»Danke.« Körner tippte sich zum Gruß an die Stirn. Während Philipp noch immer in den Regen starrte, begab er sich auf den Weg in sein Zimmer.
»Kann ich den Boden in der Gaslight Bar aufwischen?«, rief ihm die Wirtin nach.
Körner wandte sich um. Mit Boden aufwischen meinte sie bestimmt, die eingetrockneten Blutlachen entfernen, dachte er. Warum sollte sie das wollen? Kannte sie den Inhaber der Diskothek?
»Chuck ist ein Freund«, antwortete sie, als habe sie die Frage in seinem Gesicht abgelesen.
»Von mir aus, aber das ist nicht meine Entscheidung. Phil?«
Philipp nickte knapp. »Na klar. Aber hantieren Sie nicht an dem Eisengestell
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