Der Judas-Schrein
Fall ist.«
Körner hörte Sabriskis Erklärung nicht länger zu, sondern dachte nach. Schlagartig kamen ihm seine Albträume von letzter Nacht in den Sinn. »Die Inzucht«, murmelte er. »Es ist die verdammte Inzucht, die diesen Ort seit Generationen ruiniert.«
»Die Krajniks sind miteinander verwandt«, erklärte Berger den anderen.
»Und ihre drei Kinder sind tot«, fügte Körner hinzu.
»Das Mädchen hatte Knochenmarkkrebs … möglicherweise eine Erbkrankheit. Das ist es!« Sabriski sprang auf. »Zahlreiche Menschen in diesem Ort hinken, humpeln und gehen verkrümmt, ihre Arme zucken, viele haben entsetzliche Kopfschmerzen.«
»Jana, bitte! Du übertreibst.« Philipp sah sie streng an.
»Du selbst hast gesagt, es ist ein unheimlicher Ort, an dem wir uns befinden«, erinnerte ihn Sabriski.
»Dieser Ort ist schlimmer als das Kaff, aus dem die Manson-Familie stammt«, zitierte Körner die Worte des Spurensicherers.
Philipp trat einen Schritt zurück. »Seid ihr alle verrückt geworden? Das war ein Spaß!«, rief er. »Bloß ein Spaß. Nur weil in diesem Ort einige Menschen körperliche Defekte haben, können wir sie nicht gleich verhaften und in einem Panzerwagen abführen lassen. Wacht auf!«
Körner kribbelte ein Schauer über die Kopfhaut. Natürlich, Philipp hatte Recht. Er hatte die Realität komplett aus den Augen verloren und sich von ein paar wahnwitzigen Vorstellungen närrisch machen lassen. Er schüttelte alle Gedanken an Kopfschmerzen und verkrümmte Gliedmaßen ab und versuchte, sein Hirn frei zu bekommen, um wieder klar zu denken. »In Ordnung, Schluss damit! Was machen wir als nächstes?«
»Hier ist es unheimlich. Ich möchte weg aus diesem Kaff.« Sabriski kauerte sich in ihren Stuhl und ließ die Hände in den Ärmeln des Pullovers verschwinden. Ihre ursprüngliche Freude über den idyllischen Urlaubsort war im Nu verflogen. Das zermürbende Wetter trug sicherlich dazu bei, dass sie sich nach ihrer Wiener Wohnung sehnte. Körner konnte es ihr nicht verübeln.
Er blickte auf die Uhr. Es war kurz nach sieben. »Jana hat Recht, es wird Zeit, dass wir heimkommen.«
Vor den Fenstern des Gemeindesaals hielten zwei Feuerwehrwagen. Dutzende Helfer sprangen ab und polterten in das Gasthaus. Körner hörte die Eingangstür schlagen. Im nächsten Moment erfüllte Gläserklirren, das Rücken von Stühlen und lautes Gemurmel den nebenan liegenden Schankraum.
»Ich erkundige mich nach der Lage«, schlug Philipp vor.
Noch bevor Körner ihm den guten Rat geben konnte, höflich zu bleiben, war er zur Tür draußen.
Basedov blickte zum Fenster. »Das Wetter sieht nicht danach aus, als wolle es sich bessern.«
Sie starrten schweigend auf den feinen Nieselregen, der über dem Hauptplatz niederging. Die Tür flog auf, Philipp kam mit einem langen Gesicht herein.
»Lass mich raten«, sagte Körner. »Die Brücke ist nicht mehr da.«
»Noch ist sie da, aber sie ist vollkommen überflutet und kann jeden Augenblick davongerissen werden, wenn der Wasserstand der Trier nicht rasch sinkt.« Philipp verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an den Türstock. »Aber wie es im Moment aussieht, wird er über Nacht steigen.«
»Fein.« Körner zog das Handy aus der Tasche und tippte Jutta Korens Nummer. Das Gespräch dauerte nicht lange, die Antwort der Kripochefin fiel kurz und deutlich aus. Körner schleuderte das Handy über den Tisch. »Scheiße, sie kann uns nicht rausholen. Wir bleiben vor Ort und quartieren uns für diese Nacht ein.«
Ein Aufruhr ging durch den Raum.
»Machen wir das Beste draus«, empfahl Berger.
Alle erhoben sich von den Stühlen, nur Basedov blieb sitzen. Er tackerte auf der Tastatur. Inmitten eines Kabelsalats lag seine Kamera, die er mit dem PC verbunden hatte.
Philipp spazierte um den Tisch herum und blickte dem Fotografen über die Schulter. »Was machst du eigentlich unentwegt?«
»Ich habe die gestrigen Tatorrfotos auf den PC geladen. Mit meiner Kamera stimmt etwas nicht. Schau dir das an! Da sind Flecken auf den Bildern, die sich nicht retuschieren lassen.«
»Du hattest deinen Finger vorm Objektiv, das ist alles.«
Philipp klopfte dem Fotografen auf die Schulter. »Komm, suchen wir uns ein Zimmer.«
Doch Basedov blieb sitzen. Während sie den Saal verließen, arbeitete er weiter.
14. Kapitel
Im Schankraum tummelten sich an die zwanzig Feuerwehrleute auf den Bänken. Einige standen an der Theke und rauchten Zigaretten. Die Kleidung der Männer
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