Der Judas-Schrein
tauchte den Mopp in den Eimer und wischte damit über den Boden.
Herausfinden? Basedov betrachtete sie bei der Arbeit. Vor wenigen Stunden, als sie ihnen den Gemeindesaal zur Verfügung gestellt hatte, war sie ihm noch vollkommen normal erschienen. Doch im Moment wirkte sie wie eine verbitterte Frau, die den Auftrag ausführte, den blutgetränkten Boden der Bar zu scheuern. Wovon sprach sie?
Während sie über die Dielen um das Eisengestell wischte, griff Basedov zum Handy. Er wählte Körners Nummer.
»Ja, was ist?«, meldete sich Alex nach dem zweiten Klingelton. Er klang ziemlich fertig.
»Ich bin in der Bar«, erzählte ihm Basedov. Aus dem Augenwinkel betrachtete er die Wirtin, die um die Eisenkonstruktion schlich und den Mopp immer wieder mit einem schmatzenden Geräusch in den Eimer tauchte. »Ich habe etwas entdeckt.« Er bohrte den Finger in die Holzwand. Sie war weich und gab augenblicklich nach. Sein Herzschlag beschleunigte. Rasch zog er den Finger zurück.
»In Ordnung, ich komme gleich zu dir.«
Aus dem Handy hörte Basedov wie Körner einen Stuhl rückte und die Tür öffnete. »Du musst dich nicht beeilen.« Der Fotograf schielte zur Wirtin, die einige Meter von ihm entfernt stand. »Ich möchte mir vorher noch den …«
Da durchschlug etwas seine Brust. Wie von einem Hammer getroffen wurde er zurückgeschleudert. Das Handy polterte zu Boden, die Bar drehte sich um ihn. Aus einer unmöglichen Perspektive starrte er auf das Eisengestell. Die Wirtin schwebte senkrecht im Raum. Da merkte er, dass er auf dem Boden lag und zur Decke starrte. Irgendetwas war mit ihm geschehen. Es fühlte sich merkwürdig beklemmend an. Sein Brustkorb zog sich zusammen. Ein Infarkt? Eine Herzattacke? Seine Überlebensreflexe funktionierten. Instinktiv griff er sich an die Brust. Sie war feucht. Er versuchte sich hochzustemmen, doch rutschte er auf dem nassen Boden aus. Hatte die Wirtin den Eimer umgestoßen? Sie stand nur stumm da und regte sich nicht. Warum verdammt noch mal gab sie keinen Ton von sich oder rief um Hilfe? Er sah ihre Umrisse im Licht der Deckenlampe. Er wollte etwas sagen, brachte jedoch keinen Laut hervor. Da spürte er den Eisengeschmack im Mund. Sein Rachen füllte sich, er spuckte aus und musste husten. Plötzlich durchfuhr ihn die Panik. Das konnte nur eines bedeuten! Zitternd hob er die Arme und betrachtete seine Handflächen. Sie waren voller Blut. Er sah sich um. Gott, er lag in einer gewaltigen Blutlache! Hatte ihm die Wirtin den Holzstiel in die Brust gestoßen? Der Stiel musste durch seinen gesamten Körper gedrungen sein. Er spürte feuchtes, klebriges Blut, das an seinem Rücken hinablief. Was hatte die Schlampe mit ihm angestellt? Er stand unter Schock und keuchte unkontrolliert. Sollte er heute Abend sterben?
Keuchend drehte er sich auf den Bauch und kroch zur Wand. Er spuckte Blut, krallte sich mit den Fingern in die Holzsprossen und stemmte sich hoch. Sein Atem rasselte, sein Herz raste. Er lehnte den Kopf an die Wand und versuchte, ein Bein aufzurichten. Er musste raus hier. Stück für Stück schob er sich an der Wand entlang und hinterließ eine breite Blutspur auf den Brettern. Aus weiter Ferne hörte er Körners Stimme. Das Handy! Er sah sich um. Es lag einen Meter von ihm entfernt. Quälend langsam öffnete er den Mund, brachte aber keinen Ton heraus. Alex! Ich bin hier! In der Bar. Komm schnell! Da traf ihn ein neuerlicher Hieb, etwas drang wie eine Klinge in seine Brust, schnitt durch Haut, Fleisch und Knorpel und durchtrennte Muskeln und Nerven. Er stolperte. Ein dritter und vierter Stoß! Sein Brustkorb brach.
Wie in Zeitlupe drehte er sich auf den Rücken, schloss die Augen und wartete.
»Du musst dich nicht beeilen, ich möchte mir vorher noch den …«
Körner hörte nichts weiter. Er hastete bereits die Treppe hinunter und den Korridor entlang, als er immer wieder Basedovs Namen in das Handy rief. Doch die Verbindung war so schlecht, dass nur Rauschen an sein Ohr drang. Er schob sich in dem verrauchten Schankraum zwischen den Feuerwehrleuten hindurch und stolperte nach draußen. Regen peitschte ihm ins Gesicht, die Kälte ließ ihn frösteln. Für einen Augenblick mussten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, da die Straßenbeleuchtung ausgefallen war. In welcher Richtung lag die Diskothek? Er sah sich um, fand das Licht des Krämerladens und konnte sich wieder orientieren. Links davon lag die Gaslight Bar, genau hinter dem Marmorbrunnen. Er steckte das
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