Der Judas-Schrein
Bar. »Ich habe dich über den Platz laufen sehen. Was ist passiert?«
»Basedov ist verschwunden! Hast du ihn gesehen?«
»Nein.« Philipp wischte sich das nasse Haar nach hinten.
»Was ist jetzt? Kann ich weitermachen?«, fragte die Wirtin.
Philipp sah sie desinteressiert an. »Ja sicher, aber fassen Sie das Gestell nicht an.«
»Ich weiß, ich werde mich hüten.«
Philipp und Körner verließen die Diskothek und traten ins Freie. Sie gingen in die Mitte des Platzes, um einen besseren Handy-Empfang zu erhalten. Körner wählte Basedovs Nummer, doch nahm er das Handy nach dem dritten Signalton wieder herunter.
»Er hebt nicht ab, die Mailbox läuft.«
Sie sahen einander ratlos an.
»Du glaubst doch nicht, dass ihm etwas zugestoßen ist?«, fragte Philipp.
Körner hob die Schultern. »Er war einem Hinweis auf der Spur, aber ich weiß nicht welchem.« Er hasste es, wenn er wie ein begossener Pudel im Regen stand und nicht wusste, wo er anfangen sollte zu suchen.
Da kamen Jana Sabriski und Sonja Berger aus dem Krämerladen. Hinter ihnen ließ der alte Gehrer den Rollladen herunter. Im nächsten Moment ging das Licht im Geschäft aus. Die beiden Frauen hielten große, prall gefüllte Einkaufstaschen in den Händen und liefen durch den Regen auf sie zu.
»Habt ihr Basedov gesehen?«, rief ihnen Körner entgegen.
»Er ist vor einer halben Stunde vorbeigehetzt und sagte, er wolle nachher zu uns in den Laden schauen. Wir sollten zusehen, dass der Inhaber nicht absperrt.« Berger stellte ihre Taschen zu Boden.
»Er wäre ohnehin zu spät gekommen«, ergänzte Sabriski. »Wir haben den Laden vollständig leer gekauft.« Sie deutete grinsend auf die Taschen, doch als sie Körners Gesichtsausdruck sah, wurde sie ernst. »Was ist passiert?«
Körner erzählte ihnen von Basedovs Besuch in der Gaslight Bar und dem knappen Telefonat, das er mit ihm geführt hatte. »Wo könnte er mit einem Stativ unter dem Arm bloß hingegangen sein?«, schloss er.
Nachdem sie ihren Einkauf in den Gastzimmern verstaut und ihre Regenmäntel aus dem Gemeindesaal geholt hatten, begann die Suche nach Basedov. Mit einem bissigen Kommentar machte ihnen der Bürgermeister klar, dass sie nicht einmal auf sich selbst aufpassen konnten und er ihnen keine freiwilligen Helfer zur Verfügung stellen würde, da alle Frauen und Männer im Ort gebraucht wurden, um den Damm zu sichern, Sandsäcke zu füllen, Erdwälle zu graben und Schläuche zu verlegen, damit das ausgeflossene Öl aus den Kellern gepumpt werden konnte. Einzig der Dorfgendarm bot sich an, mit dem Wagen durch die Straßen zu patrouillieren und nach Basedov Ausschau zu halten.
Zunächst durchsuchten sie die Zimmer im Braunen Fünfender, danach krempelten sie jeden Raum in der Gaslight Bar um. Erfolglos trafen sie sich am Marmorbrunnen und beschlossen, systematisch vorzugehen. Sie wollten am Dorfplatz beginnen. Während Philipp und Berger die Steintreppe zum Kirchberg hinaufstiegen, marschierte Körner mit Sabriski neben dem Krämerladen in die Seitengasse. Mittlerweile hatte sich das Unwetter zu einem feinen Nieselregen gewandelt. Doch Nebel kam auf, milchige Schlieren krochen über die Pflastersteine. Der Mond hing über dem Dach der Diskothek und leuchtete in die verwinkelten Gassen. Schiefe Häuser und Holzschuppen säumten die Gehwege. Ohne den Mondschein hätten sie wenig gesehen, da die Straßenbeleuchtung noch immer nicht funktionierte.
Immer wieder rief Körner Basedovs Namen. Er wurde von Mal zu Mal lauter, und je tiefer sie in das Gewirr aus Gassen vordrangen, desto mehr brüllte er sich die Seele aus dem Leib.
»Es ist halb zehn Uhr nachts«, erinnerte ihn Sabriski.
»Na und?« Keuchend lehnte er sich an eine Hausmauer, Schweiß lief ihm über die Stirn. »Irgendwo muss er doch stecken!«
»Glaubst du, er erlaubt sich einen Scherz mit uns?«
»Basedov?«, rief Körner. »Niemals! Hast du Basedov jemals scherzen hören?« Sie schüttelte den Kopf.
Er hetzte weiter. Immer wieder brüllte er Basedovs Namen, bis seine Kehle schmerzte und er nur noch heiser krächzte. Er war vollkommen durchnässt, selbst in seinen Schuhen stand das Wasser. Als er sich umsah, bemerkte er, dass ihm der Nebel bis zu den Hüften reichte. Die engen Gassen waren mit bleigrauen Schwaden überflutet. So musste es aussehen, wenn der Damm brach und das Hochwasser den Ort überschwemmte. Sabriski war einige hundert Meter hinter ihm geblieben. Sie hockte auf dem Boden, nur ihr Kopf ragte aus dem
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