Der jüdische Krieg.
Widerwillens und der Trauer in Josefs Mienen. Aber Josef hielt sein Gesicht versperrt, und den Prinzen wehte es kalt und fremd an: wie konnte der Jude das ertragen?
Es war so, daß den Josef ein quälender Drang an die Orte trieb, wo die Greuel der Belagerung auf besonders scheußliche Art sichtbar wurden. Er war hierhergeschickt, um das Auge zu sein, das all dieses Grauen sieht. Sich rühren, das war leicht. Stille stehen und betrachten müssen, das war viel schwerer. Oft packte ihn ein scharfer, ätzender Schmerz, daß er hier außerhalb der Mauern stand, eine sinnlose Sehnsucht, sich unter die in der Stadt zu mischen. Die hatten es gut. Kämpfen dürfen, leiden dürfen zusammen mit einer Million anderer, das war gut.
Er hat einen Brief bekommen aus der Stadt auf dunkelm Weg und ohne Absender: »Sie stören. Sie haben zu verschwinden.« Er weiß, daß Justus diesen Brief geschrieben hat. Wieder hat dieser Justus recht gegen ihn. Seine Vermittlungsversuche sind hoffnungslos, seine Person stört jede Vermittlung.
Es ist ein sehr bitterer Sommer für den Mann Josephus, dieser Sommer vor den Mauern Jerusalems. Die vernarbende Wunde am rechten Arm ist nicht schwer, aber sie schmerzt, und sie macht ihm das Schreiben unmöglich. Manchmal fragt Titus ihn scherzhaft, ob er ihm nicht diktieren wolle; er sei der beste Stenograph im Lager. Aber vielleicht ist es gut, daß Josef jetzt nicht schreiben kann. Er will nicht Kunst, Beredsamkeit, Gefühl. Sein ganzer Körper soll Auge sein, sonst nichts.
So steht er mit Titus inmitten der kahlen Landschaft, die einst einer der schönsten Teile der Erde war und seine Heimat. Jetzt ist sie wüst und leer wie vor der Schöpfung. Auf der letzten Mauer der Stadt, der schon erschütterten, weiß er seine Landsleute, verwahrlost, verwildert, überzeugt, daß sie untergehen müssen, und sie hassen ihn mehr als irgendeinen andern Menschen. Sie haben einen Preis auf seinen Kopf gesetzt, einen Ungeheuern, den höchsten, den sie kennen, einen ganzen Scheffel Weizen. Er steht da, schweigend, den Blick vor sich. Hinter ihm, vor ihm, neben ihm sind die Kreuze, an denen Menschen seines Stammes hängen, zu seinen Füßen ist die Schlucht, in der Menschen seines Stammes verwesen, die Luft, das ganze kahle Land ist voll Getier, das auf den Fraß wartet.
Titus macht den Mund auf. Er spricht leise, aber in der Ödnis ringsum klingt es laut: »Findest du es grausam, mein Josef, daß ich dich zwinge, hier zu sein?« Josef, noch leiser als der Prinz, langsam, die Worte abgewogen, erwidert: »Es war mein Wille, Prinz Titus.«
Titus legt ihm die Hand auf die Schulter: »Du hältst dich gut, mein Josef. Kann ich dir einen Wunsch erfüllen?« Josef, immer ohne ihn anzusehen, mit der gleichen, gemessenen Stimme erwiderte: »Lassen Sie den Tempel stehen, Prinz Titus.« – »Das ist mein Wille nicht weniger als deiner«, sagte Titus. »Ich möchte, daß du etwas für dich erbittest.«
Endlich wandte sich Josef dem Prinzen zu. Er sah, daß sein Gesicht neugierig war, forschend, doch nicht ohne Güte. »Geben Sie mir«, sagte er langsam, behutsam, »wenn die Stadt fällt, aus der Beute ...« Er verstummte. »Was soll ich dir geben, mein Jude?« fragte Titus. »Geben Sie mir«, bat Josef, »sieben Schriftrollen und sieben Menschen.«
Die beiden standen groß und allein in der kahlen Landschaft. Titus lächelte: »Du sollst siebzig Rollen haben, mein Josef, und siebzig Menschen.«
Die Priester der diensttuenden Reihe versammelten sich alltäglich in der Quadernhalle, um auszulosen, wer die einzelnen Verrichtungen des Opfers vornehmen sollte. Am Morgen des 5. August, des 17. Tammus jüdischer Rechnung, traten unter die also Versammelten die Führer der Armee Simon Bar Giora und Johann von Gischala, gerüstet beide, mit ihnen ihr Sekretär Amram sowie viele Bewaffnete. Der Chef des Tempeldienstes, der die Auslosung leitete, fragte, seine Fassung krampfig festhaltend: »Was wollen Sie?« – »Sie brauchen heute die Losung nicht vorzunehmen, mein Doktor und Herr«, sagte Johann von Gischala. »Sie brauchen sie auch in Zukunft nicht mehr vorzunehmen. Sie können nach Hause gehen, meine Herren, alle, Priester, Leviten, Laien. Der Tempeldienst hat aufgehört.«
Verschreckt standen die Priester. Der Hunger hatte ihre Gesichter welk gemacht, weiß wie ihre Gewänder, sie waren sehr geschwächt. Manche unter ihnen hielt ähnlich wie den Doktor Nittai allein die Ehrung des
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